Für die Karwoche vom 4. bis 11. April 2020 plante der Yachtclub Braunau-Simbach (YCBS) seinen traditionellen Frühjahrstörn mit Clubmeisterschaft – den YCBS-Cup. Heuer sollte es nach Italien zum Toskanischen Archipel gehen. Acht Skipper formierten Crews, Yachten ab der Marina di Scarlino wurden gechartert, die Anreise mit dem gesamten Ablauf organisiert und die finanzielle Abwicklung erledigt. Gut über fünfzig gemeldete Teilnehmer freuten sich auf die bevorstehende Segelwoche. Aber! Noch vor Mitte März stornierte die Corona-Pandemie unsere Pläne und die Pläne vieler vieler anderer Menschen auch. Dies aber ist nur ein kleiner Wermutstropfen in Anbetracht der Katastrophe mit den vielen Toten.

Ich wisch mir den Schweiß von der Stirn, dreh mich auf die andere Seite und versuche weiter zu schlafen. Seit ein paar Tagen fesselt mich ein hartnäckiger grippaler Infekt trotz vorangegangener Schutzimpfung weitgehend ans Bett. Ich bin völlig kraftlos, zu matt für irgendeine Aktivität, nicht einmal lesen ist eine rechte Option. Anders Celsius, der alte Schwede, zeigt mir beständig an die 39 Grad, ich fiebere also durch den Tag und durch die Nacht – dazwischen häufig Schüttelfrost. Ausgerechnet jetzt – Mitte Februar – sind Semesterferien in Oberösterreich und mein Hausarzt mit seinen schulpflichtigen Kindern auf Urlaub. Wird auch so wieder werden.

Im Dämmerzustand – Halbschlaf oder Tagtraum – reisen meine Gedanken durch die Weltgeschichte, sprunghaft und ohne System, ohne Grenzen, einfach so durch Zeit und Raum – mehrdimensional, ganz ohne Beamer oder Zeitmaschine. Zukunft, Gegenwart und Vergangenheit verschmelzen frei beweglich auf der Zeitachse. Menschen, Orte, Ereignisse erscheinen und verschwinden, längst verschüttete Erinnerungen werden für ein kurzes Aufflackern wieder lebendig, lassen Empfindungen zurück: Freude, Trauer, Glück und Schmerz. Körperlos empfunden ist der Geist beweglich wie ein Irrlicht – frei! Frei falle ich hinein in einen schönen neuen Traum, dem Traum vom Segeln, dem Traum von den Küsten der Toskana und den Inseln des Archipels.

Eigentlich wär‘ es Zeit an die Törnplanung zu denken, denn schon in eineinhalb Monaten werden wir nach Scarlino anreisen. Zweimal war der YCBS schon im Revier, auch ich, aber das ist lange her: 1996 und 2000 – also zuletzt vor 20 Jahren. Das aktuelle Küstenhandbuch für Italien läge schon bereit, aber der schwere Schmöker ist heut nichts für mich, da will ich lieber meine Erinnerungen bemühen.

Damals, beim ersten Termin, starteten wir in Punta Ala, das liegt wenige Kilometer südlich von Scarlino, am Festland der Toskana – auch acht Segelyachten, so wie für 2020 gemeldet. Ich hatte eine bunte Crew zusammengestellt, noch einmal die Zahl acht. Ein paar waren erfahrene Segler, aber auch hochinteressierte Einsteiger bzw. Wiederholungstäter. Meine Erinnerung ist deshalb noch so frisch, weil es, obwohl schon mein 15. Törn, es der erste als Skipper war. Da bleibt einiges mehr eingebrannt auf der Festplatte.

Unser erster Schlag mit der GAUSS (sh. T-Shirt-Aufdruck nebenan – bereits mit Pandemie-Entwicklungskurve), so heißt die Gib’Sea 422, geht hinüber zur Insel Elba nach Portoferraio. Es ist noch saisonfrüh im Jahr, der 31. März 1996, aber Wind und Wetter sind recht brauchbar. Die frühlingshaften Temperaturen laden anschließend zum Sonntagsbummel durch die Hauptstadt ein, wo Napoleon einst sein erstes Exil verbrachte. Unser nächstes Tagesziel ist Marciana Marina im Nordwesten der Insel. Leider wird es kühler, windiger. Beim Einlaufen regnet es bereits und an die geplante Auffahrt mit den schwebenden Haifischkäfigen zum Monte Capanne – mit 1019 Metern der höchste Berg Elbas – ist nicht zu denken, alles wolkenverhangen. War wohl ein Aprilscherz in der Planung gewesen. Ebenfalls nicht programmgemäß gibt sich die Nacht am einfahrtsnahen, recht wind- und wellenoffenen Liegeplatz. Die Gauss zerrt wie wild im nicht endend wollenden Rhythmus der Wellen an Moorings und Heckleinen und beschert dem frischen Skipper einen durch zahlreiche Kontrollgänge unterbrochenen kaum vorhandenen Schlaf. Wie viele Lire uns der unangenehme Rastplatz aus der Bordkasse zieht, darüber geben meine Ganglien leider keine Auskunft mehr. Der herbeigesehnte Morgen ist kühl, regennass und windig, trotzdem wollen wir hinüber nach Bastia auf Korsika. Mit Reff 1 reiten wir die rund 35 Seemeilen flott ab, wobei speziell die jüngeren Crewmitglieder viel Gelegenheit zum Üben am Steuer bekommen.

Im riesigen Port Toga finden wir ausreichend Platz, auch für ein Crewfoto (wobei Jungster Josef fehlt, weil er schon beim Duschen ist). Beim zweiten Blick aufs Bild befällt mich etwas Traurigkeit – zwei der 1996er haben uns bereits für immer verlassen: Sepp A. stürzte vor einigen Jahren mit dem Rad und erholte sich davon nicht mehr. Ich seh‘ ihn noch in seiner wuchtigen, behäbigen Art – den Niedergang blockierend und die Kamera in der Hand. Auch Gerhard F. – die engsten Freunde nannten ihn liebevoll „Futti“ – hat den Campingplatz (seine eigentliche Passion) vor einiger Zeit geräumt und sein Zelt im Jenseits aufgeschlagen.

Bastias Zentrum besuchen wir zu Fuß und bewundern seinen morbiden Charme mit den vielen desolaten Fassaden – trotzdem schön. Beizeiten kehren wir am Abend zum Schiff zurück. Das Hafenbüro ist seit unserer Ankunft geschlossen, so bleiben unsere Francs fürs Parken in der Tasche. Noch vor der Geisterstunde brechen wir zur Nachtfahrt zurück nach Elba auf. Passender Wind und silbriger Mondschein sind die angenehmen Begleiter. Für das letzte Stück, es wird schon hell, darf die Maschine Dienst verrichten. Jetzt ist der Monte Capanne wolkenfrei, aber im südseitigen Marina di Campo ziehen wir ein kräftiges Frühstück und eine Mütze voll Schlaf der Bergtour vor. Zu Mittag muss es weitergehen, denn am späten Nachmittag ist der Treff aller YCBS-Schiffe in Porto Azzurro vereinbart. Die fallböige Küstenfahrt zur Ostseite von Elba fordert die Steuerleute und die Segeltrimmer gleichermaßen, aber zeitgerecht gelingt die Ankunft im „Blauen Hafen“. Hier geht es recht quirlig zu. Die hübsche Stadt und reichlich bekannte Gesichter laden zum Verweilen und zum Plaudern ein.

Für Gründonnerstag ist die erste Wettfahrt geplant. Nach dem Skipperbriefing tummeln sich bald die acht Schiffe vor der Startlinie. Die kleinen Inseln weiter nördlich, Palmaiola und Cerboli, sind zu runden und wieder retour nach Porto Azzurro zu segeln. Leider bekommt der Wind nichts von unserem Vorhaben mit und so hungern wir erst einmal recht mühsam an Elbas Ostseite herum. Nur das kleinste Schiff mit Skipper Franz K. kreucht und fleucht, sehr küstennahe, merklich davon. Irgendwann hat Äolus Mitleid mit den größeren Yachten und es beginnt die Aufholjagd. Zurück in Porto Azzurro können wir den vorerst 3. Platz verbuchen. Da nicht aller Tage Abend ist, hoffen wir auf den Freitag. Er bringt uns regattierend nach Punta Ala zur Ausgangsmarina retour. Kurz vor der Ziellinie tappen wir, in Führung liegend, in ein Flautenloch. „Zum Teufel, fahr zur Hölle!“ denk ich mir, aber nicht der, sondern der Höller schiebt sich mit einem letzten Windhauch an uns vorbei, holt sich den Gesamtsieg und damit den YCBS-Hochseemeister 1996. Der Gauss muss der 2. Platz genügen und dem Vortagssieger Franz der Dritte. Das bestätigt später, noch in schwarz auf weiß, ein printmedialer Cup-Bericht in „…mitgeloggt!“.

Vier Jahre später ist der YCBS wieder im Revier, diesmal zieht der Toskanische Archipel gleich dreizehn Crews in seinen Bann. Wieder reisen wir per Bus an, aber das letzte Stück mit einer Fähre direkt nach Portoferraio auf Elba. Von dort verstreut sich die stolze Flotte anfangs wieder recht individuell und so wie 1996 treffen sich alle Yachten erst am späten Mittwochnachmittag wieder in Porto Azzurro. Unsere Besatzung auf der SMILES, einer Sun Odyssey 42.2, zählt 7 Köpfe. Kurz erzählt orientieren wir uns am Kurs vor vier Jahren: von Portoferraio nach Marciana Marina, dann wieder hinüber nach Korsika, aber mit einem netten Zwischenstopp auf der Ziegeninsel Capraia. Der lustige Abend dort lässt vereinzelt etwas Kopfschmerzen zurück (vor allem bei meiner Frau Elisabeth). In Bastia steuern wir diesmal den schönen alten Hafen Vieux Port an. Nach einem Rundgang durch die einstige Hauptstadt Korsikas finden wir ein vorzügliches Lokal und genießen zahlreiche Spezialitäten der französischen Küche. Wieder nächtlich (als Praxis für die FB2-Kanditaten an Bord), diesmal ab 2 Uhr früh, geht’s zurück nach Elba – Marina di Campo und Porto Azzurro sind dort die Stationen.

Die meisten der damals Mitreisenden sind heute geprüfte Skipperinnen bzw. Skipper. Bei meiner 2000er-Crew – siehe Selbstauslöserbild – konnten sechs den Schein erwerben. Leider haben davon wiederum, so wie bei den 1996ern, zwei bereits das Navigationsbesteck für immer abgegeben: von Franz K. mussten wir uns im letzten Dezember verabschieden und für Werner Z. – meinem langjährigen Freund und Begleiter bei zusammen 33 Törns – stand die letzte Überfahrt bereits vor drei Jahren an. Einige weitere Elba-Crews von damals vermissen ebenfalls treue Weggefährten.

Zurück nach Elba. Donnerstag und Freitag sind wieder zum Matchen reserviert – erst von Porto Azzurro nach Portoferraio. Diesmal landen wir im Mittelfeld. Die stolzen Cup-Sieger des Jahres 2000 erhalten ihre Pokale später beim Sommernachtsfest im Sporthaus in Ranshofen. Die lustige Italienische Nacht bringt die nicht ganz kompletten Crews besonders bunt ins Bild.

Aller guten Dinge wären drei – nun müssen wir uns, zumindest vorerst, weiterhin mit zweimal Elba begnügen. Meine chaotisch-bruchstückhaften Fiebertraum-Gedanken vom Februar 2020 hab ich später beim Niederschreiben ein wenig mit Details in Text und Bild ergänzt, auch fallweise unter chronologischer Regie gereiht. Jetzt, gegen Ende März, hatte ich ausreichend Zeit dazu, gehöre ich doch zur Risikogruppe, zu der, die sich besonders vor Corona verkriechen muss, und das nach derzeitigem Stand jedenfalls einmal bis nach Ostern.

Liebe Leserin, lieber Leser!

Anhand der Vergangenheit hab ich versucht, die durch die Corona-Pandemie verlorene Zukunft betreffend YCBS-Cups 2020 ein wenig zu rekonstruieren. So ähnlich wie oben beschrieben hätte es wieder laufen können im April, ja wenn, wenn nicht ein gewisses Virus alles auf den Kopf gestellt hätte.

Passt auf euch auf und bleibt gesund, damit wir uns hoffentlich bald irgendwo frisch und munter wiedersehen können – vorzugsweise vielleicht draußen am Meer.

Herzlichst und mit Zuversicht

Euer Ante

Eingewebt zu Frühlingsbeginn 2020 !