2005 an der Ostsee - Boltenhagen
Ein Spätsommerbesuch an der südwestlichen Ostsee !
Statt immer nur den Süden auch einmal den Norden etwas erkunden !
Ein Bericht für Segler und auch Landratten !

Vor über 10 Jahren machten wir einmal auf einer dicken Fähre Bekanntschaft mit der Windkraft der Ostsee. Damals waren wir – siehe historische Aufnahme –   Die Crew 1993 auf Lolland - Time flys !  in Urlaub auf Dänemarks Südinsel Lolland. Bei der Überfahrt von Rødbyhavn nach Puttgarden zogen die Wellen vielen das Frühstück aus den Mägen. Trotzdem oder gerade deshalb wollten wir irgendwann wieder in dieser Gegend Europas etwas Herausforderung suchen.

Mit einer Woche an Land und einer Woche per Segelboot auf dem Wasser färbten wir nun, im Spätsommer 2005, unsere weißen Flecken auf der Karte von Mecklenburg-Vorpommern und Schleswig-Holstein etwas bunt.

Einige Leute haben von unserem Unternehmen gehört und hoffen auf einen Bericht – hier ist er. Viel Spaß beim Lesen (am besten abends, am Wochenende, an Regentagen oder in Etappen, denn er ist doch etwas umfangreich geworden) ! Wenn du danach „lange Zähne“ hast und Sehnsucht nach ein wenig Sommer-Norden, dann ist der Beitrag angekommen. Natürlich solltest du unsere Erfahrungen irgendwann selbst vor Ort überprüfen. Die Ostsee und das Land herum werden dich herzlich willkommen heißen !

 


Unser Doppel-Revier an der Ostsee


Das ist unser Plan-Vorhaben:

Anreise – mit dem eigenen PKW flott mit viel Vorfreude durch die deutschen Lande flitzen

Erste Woche – mieten einer Ferienwohnung in Boltenhagen zum Einstimmen auf die Ostsee

Zweite Woche – chartern eines Seglers ab Heiligenhafen zum Erkunden der südwestlichsten Ostseeküsten

Heimreise – beladen mit vielen neuen Eindrücken und etwas Ostseeerfahrung gut zurückkommen

  

Das sind die Reisenden:

Elisabeth – die jüngste Herzogin (aber auch die älteste – 53/Volksschullehrerin)
Klemens – der juniorigste Herzog (17/Gymnasiast – nur beim Törn dabei)
Anton – der älteste Herzog aus der Sparkassenstraße (59/EDV-Grau-Senior)

PKW-Reiseroute - gelb HIN - orange RETOUR

Anreise und Einstieg – Freitag, 19. August 2005:

Herbstlich stimmender kühlfeuchter Morgennebel hängt über Braunau und Ranshofen. Uns fröstelt – es ist viel zu kalt in diesem Sommer voller Regen und wir sollen ausgerechnet auch noch Richtung Norden fahren ? Gemischt sind daher unsere Gefühle, aber alles ist gebucht und unser Espace beladen ! Beruhigend wirken die eingepackten warmen Sachen.

Kurz nach 6 Uhr früh starten wir los. In flotter freier Fahrt auf Deutschlands Straßen ziehen Passau, Regensburg, Leipzig und Berlin an den Seitenfenstern vorbei. Bei Schwerin verlassen wir die Autobahn und damit tauchen wir ein in den Landkreis Nordwestmecklenburg. 15 Uhr ist grad vorbei, da stehen wir am Strand von Boltenhagen und atmen erstmals kräftig Ostseeluft.

Ab 16 Uhr beziehen wir unsere Wohnung in der Residenz Haffblick. Alles passt bestens. Vor dem Haus weidet eine Gruppe edler Pferde, sattgrün ist das Land und ein angenehm warmer Wind streicht über die Ostsee herein und durch die Bucht von Boltenhagen – der Urlaub kann beginnen !

 

 


Städte, Land und Küstensand – eine Woche in und um Boltenhagen:

Am Strand von Boltenhagen

Boltenhagen ist einer der ältesten deutschen Ostseebadeorte, lt. medizinischer Definition mit einem milden Reizklima belohnt, eine Wohltat für jede angegriffene Lunge.


Geschichtlich
 betrachtet zieht es schon weit über hundert Jahre viele Menschen zur Erholung und auch Kur hierher.
Zur Seelage haben zudem drei historische Perioden die Entwicklung von Ort und Umgebung besonders geprägt und sind hervorzuheben:

Seebrücke BoltenhagenIn der NS-Zeit wurde hier, auf der die Bucht östlich abschließenden Halbinsel Tarnewitz, ein Entwicklungs- und Testgelände für Flugzeuge eingerichtet. Viele Techniker und Piloten wurden in Boltenhagen ansässig.

Nach dem 2. Weltkrieg und der Trennung Deutschlands verlief die innerdeutsche Grenze westlich von Boltenhagen zur Ostsee. Der Ort blieb zwar auch Erholungsgebiet für ostdeutsche Bürger, aber dahinter war Sperrgebiet, für 40 Jahre das nach Berlin wohl bestbewachteste Grenzgebiet hin zur BRD.

Nach der Wende lag Boltenhagen an vorderster Entwicklungsfront für westdeutsche Investoren. Fast kein Stein blieb auf dem anderen. Gefühlvoll, ohne Hochhaus-Bausünden wurde viel renoviert, neu gebaut und umgekrempelt. Sogar die Stranddüne beinahe der gesamten Bucht ist neu geschüttet. Nur noch wenige desolate Bauten  erinnern an die karge Zeit der DDR.

Die Küste bei Boltenhagen ist abwechslungsreich. Ein Teil ist flach wie eine Flunder – mit herrlich weichem Dünensand und vielen, vielen Strandkörben, ein Teil ist etwas steil und voller Nestlöcher der Uferschwalben. Das Wasser ist weit ins Meer hinein flach, bei ablandigem Wind wunderbar sauber und etwas bis ziemlich biodrüb bei Auflandigkeit. Der Salzgehalt liegt bei meist unter 2 % und ist damit ca. halb so hoch wie im Mittelmeer. Die Besucher tummeln sich vorwiegend im Sand und in den Körben, aber auch das Wasser wird von vielen nicht verschmäht. Gewöhnungsbedürftig sind fallweise die vielen Ohrenquallen, glasige, gallertige Dinger wie Silikon-Implantate, aber völlig harmlos und oberflächlich genau so gut angreifbar (wer’s mag). Später in Kiel beim Segeln sichten wir allerdings auch einige Feuerquallen. Muscheln gibt es an der Ostsse nur wenige, das liegt am geringen Salzgehalt.
Wir machen ausgedehnte Strandbesuche und Wanderungen entlang der Küste, erfreuen uns am ausgelassenen Getriebe, interessieren uns für die etwas andere Vegetation (Schlehe, Sanddorn und Korn für die Schnapsbrenner) und beobachten die Schiffe draußen auf der See. In den Lokalen gibt es besten Fisch zu Preisen gleich teurer wie die Fleischgerichte und auf die Frage, was man dazu wohl am besten trinkt, bekomme ich zurück: „Wollen Sie ’ne ehrliche Antwort ? Am besten schmeckt ’n Bier !“

Die nahe Umgebung ist ein sanft gewelltes Land mit viel Getreidebau. Die einstmals kleinere Strukturierung musste in vielen Fällen dem „Weitblick“ von Walter Ulbricht und Erich Honecker weichen. Heute sind die ehemaligen LPGs (Landwirtschaftl. Produktionsgenossenschaften) EU-konforme Großbetriebe ohne polnische Problematik. Dennoch sind dazwischen spez. im Klützer Winkel (so heißt der Landstrich hinter Boltenhagen) herrlich romantische kleine Backsteinhäuser, reetgedeckte Fischerkaten und alte Windmühlen erhalten geblieben. Wir machen eine Tages-Radtour der Küste entlang, auch landeinwärts und kehren ein im Windmühlen-Restaurant in Klütz. Die mecklenburgischen Spezialitäten schmecken uns vorzüglich.

Die Hanse-Städte Lübeck im Westen und Wismar im Osten liegen gleich um Boltenhagens Ecke und vor Lübeck liegt noch Travemünde. Diese drei Städte wollen wir besuchen.

Blick auf Wismar - Segler und Nikolai-KircheWismar – mit ihr beginnen wir und lassen unser Auto gemütlich die 30 km über kleine landschaftlich reizvolle Hintenherum-Straßen drauf zurollen. Die einst blühende Hansestadt ging später für hundert Jahre an Schweden (bei unserem Besuch wird gerade das große Schwedenfest gefeiert) und es ist erst die letzten 100 Jahre deutsch, davon 40 Jahre ostdeutsch. Wismar - HafenholzIm 2. Weltkrieg wurde die Stadt arg bombardiert, viele alte Bauten, so das Langschiff des Mariendoms werden dabei unwiederbringlich zerstört, sehr viel aber auch wieder aufgebaut und Wismar erstrahlt besonders seit der Zeit nach der Wiedervereinigung in neuem Glanz. Weil uns das Wasser wie immer anzieht, muss auch eine Schiffsrundfahrt sein. Im Hafen liegt u. a. der größte deutsche Umschlagplatz für skandinavisches und russisches Holz mit riesigen Sägewerken. Aber auch eine modernst ausgestattete Werfthalle zum Bau von gigantischen Containerschiffen steht in voller Auslastung. Nach einer kleinen Runde auf der Ostsee beenden wir mit vielen lohnenden Eindrücken den Besuch in dieser Stadt. 

Alter und neuer Leuchtturm - Hotel MaritimTravemünde – besuchen wir übers Wasser per Ausflugsschiff und vertrauen uns damit erstmals bei diesem Urlaub der Ostsee an. Die Stadt ist praktisch Lübecks vorgelagerter Großhafen direkt am Meer (ihre schönste Tochter wird sie daher auch genannt). Die 1,5 stündige Küstenfahrt dorthin ist ruhig und der Kapitän erklärt den Gästen einiges von Schiff, Ostsee, Küste, Land und Leuten. Die PASSAT Bei einem Besuch am Steuerstand kann ich ihm manche Frage stellen und er geizt nicht mit guten Tipps für unseren geplanten Törn. Beim Näherkommen taucht als markanter Ansteuerungspunkt das gewaltige Hotel Maritim in der Ferne auf – dass dieses gleichzeitig als Leuchtturm dient, damit hatten wir nicht gerechnet. In der Travemündung liegt ein P-Liner längseits vertäut, es ist die PASSAT (ein Viermast-Vollschiff). Weiter innen im Hafen begrenzen gewaltige Fähr- und Transportschiffe den Blick. Wir legen im Fischerhafen an und schlendern an der reizvollen Vorderseite (so heißt der Kai bei der Altstadt) entlang. Wellige Ostseefahrt Vorbereitungen für ein besonderes Ereignis sind im Gange – für morgen ist das Einlaufen des bislang größten Schiffes angekündigt, es ist das aus Helsinki kommende 299 Meter lange Kreuzfahrtschiff ARKADIA. Mit einem kleinen Imbiss  mit Weinschorle (sind wir nicht schon brave Deutschsprecher?) beenden wir unsere Kurzvisite in der Travestadt. Jetzt noch eine ruhige Rückfahrt, aber wo? Zwischenzeitlich war Wind aufgekommen, und das nicht knapp, und schöne Welle draußen auf der See dazu – das Ergebnis: ein paar Kotzgesichter, 2 Passagiere bodentief zwischen den Trümmern ihrer Stühle, eine Frau mit angeschlagener Rippe an der Reling und ein nicht ganz einfaches Anlegemanöver bei der Seebrücke in Boltenhagen. So bleibt sie in Erinnerung, diese erste Ostseefahrt.

Lübeck von der Trave ausLübeck – mit dem berühmten Holstentor (z. Z. in voller Renovier-Verkleidung) ist wohl eine der schönsten alten Hansestädte (die Königin der Hanse wurde sie auch genannt). Sie liegt etwas landeinwärts an der Trave. Lübecks Salzspeicher Hier mündet auch der Elbe-Lübeck-Kanal für eine Abkürzung oberhalb von Hamburg hinüber zur Ostsee, allerdings geht das nur mit gelegtem Mast. Segel in Lübecks Dom Wir müssen diesbezüglich nichts unternehmen, PKW-Dächer machen nirgends Probleme, eher schon die Höhe der saftigen Parkgebühren in der verwinkelten Altstadt. Diese liegt vom Wasser umschlossen auf einer Insel. Was die reichen Hansebürger aus ihr gemacht haben, das kann sich sehen lassen.  Die alten Salzspeicher, das Rathaus, das Wahrzeichen Holstentor, die vielen Kirchen (die Stadt der sieben Türme), die das Stadtbild besonders prägen, daneben die zahllosen Backstein- und Fachwerkbauten, das Buddenbrookhaus, die kleinen Gang-Häuserreihen, der Hafen mit vielen alten Nostalgieschiffen und all den neuzeitlichen Anlagen sind mehr als nur unseren Kurzbesuch wert. In St. Jakobi, der Kirche der Seefahrer, steht ein Modell der 1957 bei den Azoren gesunkenen PAMIR (ein Schwesterschiff der PASSAT) und eines der Original-Rettungsboote (nur sechs Männer der über 80-köpfigen Besatzung konnten sich bei diesem Sturm-Unglück damit retten). Die dort auch beschriebenen Szenen sind erschütternd zu lesen. Auch in Lübeck ist für uns eine Rundfahrt auf dem Wasser unumgänglich. Hier ist es eine echte Fahrt rund um die alte Stadt – mit vielen Traum-Positionen für den Fotofreund. 
 



Transfer von Boltenhagen nach Heiligenhafen – Freitag, 26. August 2005:

Edle Pferde auf dem HaffEine Woche geht schnell vorbei. Am Ende der auch wettermäßig bislang herrlich angenehmen und milden Boltenhagener Tage gibt es etwas Regen. Das gemütliche Festlanddomizil zieht irgendwie mehr als ein kleines schlingerndes Schiffchen bei feuchtem Wetter. Um 10 Uhr aber ist unsere Wohnungszeit abgelaufen und ein Transfer muss sein. Wir räumen die Sachen ins Auto, verabschieden uns von unserem Pferde-Ausblick, melden uns bei der Wohnungsverwaltung ab und fahren durchs westliche Mecklenburg. Es geht um die Lübecker Bucht herum und nun erreichen wir damit Schleswig-Holstein.

Fluchtweg über die Mecklenburger BuchtIn Dahmeshöved legen wir eine kurze Wanderpause ein und besuchen den dortigen Leuchtturm. Sein Licht war für zahlreiche damalige DDR-Bürger der Wegweiser in die Freiheit – für manche aber auch der verführerische Schein in den sicheren Tod. Leuchtfeuer Dahmeshöved Die Lübecker Bucht von Boltenhagen bis Dahmeshöved ist über 20 km breit und nur in der Nacht bestand manchmal eine geringe Chance zum Gelingen einer Flucht übers Wasser in den ersehnten Westen nach Holstein. Welche Verzweiflung mag Menschen wohl in dieses Wagnis getrieben haben ?
Hier ein verkürzter Text aus einem Schaukasten:
Von 1949 bis 1989 versuchten über 5.000 Menschen dem DDR-Regime zu entkommen. Nur etwa 600 davon gelang die Flucht – 189 bezahlten ihren Versuch mit dem Leben.

Identische Gedenktafeln in Boltenhagen und Dahmeshöved erinnern an die Bedeutung des Leuchtturms als „Licht der Freiheit“. Fünfzehn Jahre ist Deutschland nun wiedervereint, die Grenzen sind zum Glück verschwunden – und die Mauern in den Köpfen ? Zwei Generationen wird es dauern, so meinen Experten jetzt, bis Deutschland diese Trennung überwunden hat.

Basis Heiligenhafen In Heiligenhafen treffen wir um 15 Uhr ein. Es ist ein quirliger, lebhafter Ort mit vielen Geschäften. Ein schöner alter Salzspeicher fällt auf. Wir suchen uns bald die Marina und melden uns am Stützpunkt für einen Schiffsbezug am späteren Abend an. Laut Chartervertrag können wir die Yacht erst ab Samstag 8 Uhr früh übernehmen, jedoch wurde mir tel. eine Nächtigungsmöglichkeit am Freitag ab 21 Uhr versprochen. Nun müssen wir aber vorweg noch unsere Crew komplettieren. Klemens, unserer jüngster Sohn, ist seit den frühen Morgenstunden schon mit dem Zug unterwegs und wird um 19 Uhr in Puttgarden auf der Insel Fehmarn ankommen. Also verlassen wir Heiligenhafen wieder mit dem Auto und überqueren nordostdrehend die luftige Brücke über den Fehmarnsund.

Beim Fährhafen PuttgardenFehmarn war 40 Jahre lang Deutschlands größte Insel – seit 1989 hat Rügen ihr den Rang wieder abgelaufen. Wir haben noch Zeit und machen eine kleine Erkundungsfahrt – in der Stadt Burg kaufen wir Bordverpflegung ein und machen Halt beim großen Harley-Davidson-Treffen vor dem Rathaus, in Lemkenhafen besichtigen wir die Marina und eine mit Segeltuch bespannte Windmühle, in Landkirchen ist das Gotteshaus sehenswert und außerdem vermerken wir ein nettes Restaurant fürs spätere Abendessen. Zuletzt steuern wir Puttgarden an und beobachten die großen Fähren, welche hier zwischen Deutschlands Fehmarn und der dänischen Insel Lolland verkehren (eben die Vogelflug-Linie hinüber nach Rødbyhavn). In der Ferne sieht man heute übers Meer die dänischen Windräder-Parks vor der Küste Lollands mit ihren riesigen Armen in der Luft herumfuchteln, neben und hinter uns um Puttgarden winken die deutschen Stromproduzenten zurück. Wird wohl eine windige Gegend sein, denke ich und im Hinterkopf habe ich dabei eine Unzahl weiterer Windschaufler, welche wir auf dieser Reise schon im Nacken spürten – zieht es deshalb hier heroben so ?

Klemens‘ Zug fährt pünktlich ein. Die Fahrt war problemlos gewesen. Nun sind wir komplett und bald sitzen wir gemeinsam in Landkirchen beim schon erwähnten Wirten und verkosten Fehmarns Speisen. Klemens erzählt vom Frequency-Musik-Event am Salzburgring (u.a. mit Oasis, Foo Fighters, Die Bavaria 34 KEFALONIA Die toten Hosen u.a.m.) – dieses war der Grund für seine spätere Anreise gewesen. Das Essen schmeckt sehr gut – ob das schon das Skipperessen ist ? Es scheint so, denn ich darf es bezahlen. Kurz vor 21 Uhr sind wir dann wieder in Heiligenhafen und beziehen „unser“ Schiff, eine Bavaria 34 namens KEFALONIA (FEHMARN oder so wäre wohl passender gewesen). Heute abend sind wir alle doch schon etwas müde, so tragen wir nur unsere Sachen ins Boot (dazu wird die Vorschiffkabine zum Gepäckraum erklärt) und ansonsten wollen wir bald schlafen. Drei Umstände stehen dem vorerst im Wege:

a) das ganze Schiff riecht furchtbar muffig und feucht, ist es teilweise auch (in der Bilge steht schön Saft)
b) kein Bettzeug (auch keine Decken und Polster) weit und breit (auch nicht zu bekommen)
c) es wirkt oder ist echt unangenehm kühl und leichte Ostertörn-Erinnerungen steigen auf.

Was können wir tun ? Lenzen und lüften, lüften, lüften – warme Sachen für die Nacht heraussuchen – und (Vorsicht, Mutter und Porzellankiste sei Dank) unsere Schlafsäcke aus dem Auto holen. Eine Weile stinkt es noch, dann haben wir genügend Ostseesand in den Augen und wechseln hinüber ins Reich der Träume.

 

Häfen, Förden, Wind und Wellen – eine Woche Ostsee-Seglerleben:


Samstag, 27. August 2005 – von HEILIGENHAFEN nach KIEL ins deutsche Seglermekka:

Früh am Morgen, wenn die Schiffssirene dröhnt und die Crew noch …. – ja jetzt wird wieder in die Hände gespuckt, …. – die deutsche Gründlichkeit hat natürlich eine sehr ausführliche Checkliste für die Schiffsübergabe herausgegeben und die möchte abgehakt und unterschrieben werden, also frisch ans Werk.

Auf die Besonderheiten und Unterschiede gegenüber einer Standard-Adria/Mittelmeer-Charterabwicklung komme ich zusammenfassend zum Schluss noch, hier nur soviel:
Das Schiff ist in gutem Zustand, die Ausrüstung übersichtlich bereitgelegt, nur kein Gas ist angeschlossen, das wird aber sofort erledigt. Sogar eine Tüte mit frischen Brötchen hängt morgens für uns schon an der Reling – das ist ein Service ! Wir frühstücken am Schiff (damit uns warm wird) und bis alles kontrolliert, erledigt und verräumt ist, da vergeht wie immer die Zeit. Ein paar Besonderheiten lassen wir uns abschließend genauer erklären, wie die Diesel-Standheizung (in einer 34er Bavaria !), den Segelwechsel (Genua/Fock), ev. Revierbesonderheiten, die Rückkehr-Modalitäten (spätester Zeitpunkt, auftanken etc.).

Tonne Heiligenhafen 1 - hinten FehmarnsundbrückeUm 12 Uhr geht es endlich los. Wind ist aufgekommen – ein kühler Südwest – und wir wollen nördlich der holsteinschen Küste entlang nach Kiel, das liegt grob gesagt im Westen, also hart an den Wind ran und das gleich am ersten Tag für über 40 Meilen. Ein langer Lulatsch am kleinen Steuerrad !Vorerst aber los von den Dalben und die lange Ausfahrt am Graswarder Flach – mein Gott, ist es hier flach, flach, flach – entlang nach Osten zur Ansteuerungstonne, dann um ein kardinales Ost und Nord herum und hinein in den Fehmarnsund-Weg. An Steuerbord lassen wir in der Ferne den Handtaschenhenkel der Brücke und die Insel Fehmarn selbst liegen und mit dichtgeholten Segeln bei 3-4 Beaufort machen wir flotte Fahrt. Die 34er läuft gut und hoch. Trotz der sich zunehmend aufbauenden Welle geht es noch gerade spritzfrei nördlich der Warngebiete Putlos und Todendorf durch den Gefahrenbereich hindurch. Hier ist ein ausgedehntes Marine-Übungsgebiet in der Hohwachter Bucht, aber heute am Samstag wird zum Glück nicht scharf geschossen (sonst hätten wir außen vor bleiben müssen, Junge, det wär zeitlich eng jeworden).

The Flying Dutchman ?Hatte es um Heiligenhafen und nahe Fehmarn noch vor Seglern gewimmelt, so einsam wird es nun. Offenbar will sich keiner mehr den weiten Weg nach Kiel bei langsam zunehmendem SW antun. Ein einziger Vorkämpfer liegt einiges voraus, kann aber die nötige Höhe nicht halten und verliert sich nach dem Wenden in den Wellen. Einmal taucht ein Geisterschiff plötzlich vor uns auf – rotbraun gaffelig – und entgleitet unvermutet schnell auch wieder unseren Blicken – war’s der Flying Dutchman mit dem Klabautermann ?

Der kühle Amwind zieht sich in die Knochen – doch schon wieder Ostertörn und diesmal im August – verdammte Schande ! Die Welle wird bissiger und ist natürlich kurz in diesen flachen Gewässern um die 15 bis 20 Meter Tiefe. Gegen 17 Uhr ist es vorbei mit der freien Fahrt. Ein Holeschlag steht an, dann liegt vor uns das Verkehrstrenngebiet (VTG) beim Leuchtturm Kiel und die Kreuzung Kiel-Ostsee-Weg. Der Leuchtturm Kiel steht weit draußen !Wir erwischen ein Zeitfenster zwischen dem regen Dickschiffverkehr und stechen gleich einmal im rechten Winkel durch die Seestraße. Nun liegt die lange Kieler Förde vor uns genau in Windrichtung. Wir bergen die Segel – es reicht für den ersten Tag – und nehmen den Motor. Jetzt sind wir wieder mitten im Geschehen – rund um uns Segler (große, kleine, historische, moderne, dicke und schlanke), Motor- und Ausflugsboote, Lotsen, Fähren, Kreuzfahrt- und Containerschiffe – wir sind eben in Kiel. Erst geht’s durch die Außenförde, dann kommt die Enge mit dem Leuchtturm bei Friedrichsort, nun sind wir in der Innenförde. Einfahrt in den NOKRechts folgt die Einfahrt in den Nord-Ostsee-Kanal (NOK), dann der große Militär-Hafen der deutschen Marine und beidseitig sind wir wohl schon an einem Dutzend Marinas vorbeigefahren. Nun steuern wir Düsternbrook (den Olympiahafen von 1936) an und gehen hinein ins Becken 3 zum Kieler Yacht-Club (natürlich mit gesetztem YCBS-Stander). Es ist 20 Uhr und beim KYC (sprich „küz“) ist der Hafenmeister schon heimgegangen. Wir finden schnell einen freien Platz (mit grüner Tafel am Steg) und erledigen problemlos unseren ersten Dalbenbox-Anleger. Yacht Club Braunau SimbachKlemens macht vorne den Springer (passt genau für einen jungen Mann) und die Dalbenleinen machen Elisabeth und ich. Wohl gut über 90 % der Schiffe in diesem Revier liegen hinten an Pfählen befestigt und mit dem Bug zum Kai oder Steg. Das Manöver ist einfach – bei Seitenwind darf man klarerweise auch nicht trödeln. Bei etwas zu großen Boxen ist ein Überkreuzen der Dalbenleinen empfehlenswert. Immer bleibt dann natürlich die Kletterei über den Bug beim Aus- bzw. Einstieg.

Kiel ist Landeshauptstadt von Schleswig-Holstein und mit 240.000 Einwohnern nicht mehr ganz klein. Wir sind zwar fast bis zum Ende der Förde und damit Richtung Altstadt gefahren, aber der verbleibende Fußmasch dorthin ist immerhin noch 3 km weit – der Weg am Kai entlang, das ist die namentlich so passende Kiel-Linie. Wir spazieren sie entlang, an der modernen Burg vorbei und erwischen exakt das Rotlichtmilieu (von der Linie auf den Strich gekommen). Unser Hunger geht mehr in eine andere Richtung, da wir während der Fahrt nicht allzuviel gegessen hatten. Wir sichten rettend das Kieler Brauhaus, flüchten tief hinein, finden gerade noch einen freien Tisch und sitzen mitten unter einer lautstarken weiblichen Polterabendgruppe (Junggesellinnenabend auf gut deutsch). Bei Bier im 1,5-Liter-Krug und Holzfällersteak kann uns heute kein Fisch mehr jucken.

Die Kiel-Linie ist beim Rückweg etwas schwer zu halten (Seemannsgang !). Am Schiff ist es im Vergleich zum dampfenden, menschenvollen Brauhaus ungemütlich kühl, da tut nun die eingebaute Dieselheizung besonders gut. Nur ein Dreh am Schalter ist nötig, dann strömt nach kurzer Anlaufzeit wohlige Wärme in den Salon. Ob wir nicht doch noch ein mitgebrachtes österreichisches Weinflascherl entkorken sollten ?


Sonntag, 28. August 2005 – von KIEL nach ECKERNFÖRDE – auf wellensanfter Superkreuz:

Als Tagesziel ist die Stadt Eckernförde vorgesehen. Hier ist es an der Zeit, einmal kurz auf den Ausdruck FÖRDE einzugehen. Das „Geheimnis“ ist schnell gelüftet. Unsere Route durch die Förden Dieser deutsche Begriff ist uns Österreichern einfach unter Fjord besser bekannt, also handelt es sich um einen tief ins Land einschneidenden Meeresarm und nicht um die Mündung eines großen Flusses. Das bedeutet damit gleichzeitig, dass sich in der Förde Salzwasser aus dem Meer befindet – mal mehr und mal weniger, da oft vermischt mit Süßwasser aus kleineren Zuflüssen und dem Grundwasser. Zudem hängt dies auch stark von der Breite der Förde und  der Windrichtung, -dauer und – stärke ab bzw. auch von den Gezeiten (letztere haben aber in der Ostsee praktisch keine Bedeutung). An der westlichen deutschen Ostseeküste finden wir gleich 4 solche Förden, eben die Kieler, dann die Eckernförder Bucht (eine recht breite und offene Förde), bald danach die Schlei (eine besonders enge und tief ins Land ziehende Förde) und zuguterletzt nördlicher die größte, die Flensburger Förde an der Grenze zu Dänemark. Alle diese Förden sind, großzügig betrachtet, offen hin zur Kieler Bucht, dem großen Wasserfleck südlich der dänischen Insel Als, Ærø und Langeland. Eben dieses Gebiet ist unser Törnrevier, wobei wir die Flensburger Förde auf ein andermal warten lassen müssen (wären wir deutsche Autofahrer, dann hätten zumindest unsere Punkte am Führerscheinkonto die Gegend gesehen – aber Achtung: auch Ausländer/Österreicher können dort angeblich vermerkt werden).

War ’s gestern 12 beim Auslaufen, dann darf es auch heute wieder 12 Uhr werden (wir sind ja nicht auf der Flucht und es gibt allerhand zu sehen). Der Hafenmeister bleibt verschollen und damit ist unsere erste Marina gratis. Der Wind steht noch immer auf SW bei 3 bis 4 Bft. (alles Schätzung, da wir leider keinen Windmesser am Schiff installiert haben). Die Betriebsamkeit in und um Kiel ist am Sonntag noch gesteigert, vor allem was Segler und Rundfahrtsschiffe betrifft. Raumschots ziehen wir durch die Förde, später kurz auf Halb und dann ist Kreuzen angesagt. Der Scheitel der Bucht mit der Stadt Eckernförde liegt im Wind. Traumhaft hurtig ziehen wir bei wenig Welle (der Wind kommt ja vom nahen Land) mit Vollzeug durch das Wasser, schnupfen ein, zwei Mitbewerber (Elisabeth am Steuer voll im Wettkampffieber) und fallen unversehens wieder zurück, da sich plötzlich der Knoten der Schot am Vorsegel löst. Nach etwas Turn- und Fingerübung (ein neuer Palstek) sind wir wieder am Aufholen – Wende um Wende – und schließlich bergen wir gemeinsam mit den Konkurrenten die Segel vor der Stadt. Nach herrlichen 27 Meilen legen wir heute gegen 17 Uhr an.

Nach dem Dalbenspiel (in der Marina „Jaich“) finden wir diesmal den Hafenmeister vor. Für Euro 12,- (plus pro 4-Minuten-Dusche 1 Euro in den Automaten) können/könnten wir hier für einen Tag (Betrag gilt für 24 Stunden) bequem liegen. Das sind die üblichen Preise (15,- pauschal mit Dusche war bei 4 x Marine in Deutschland unsere Obergrenze, in Dänemark/Langeland/Bagenkop legten wir 20,- + 0,50 je Dusche hin – die Schiffsgröße und Personenanzahl spielte mal mit hinein, dann wieder mal nicht).

Häuser in EckernfördeEckernförde, eine über 20.000-Einwohner-Landkreis-Hauptstadt ist uns auf Anhieb sympathisch. Hier sind die Wege kurz – wir liegen praktisch in der Altstadt – und Hafen, Straßen, Gassen sind gemütlich zu durchwandern. Der Ort verdankt seine heutige Größe dem Getreidehandel – beachtliche Speichersilos sind dazu errichtet worden. Hochwasserstand von 1872 Abends suchen wir ein Speiselokal und finden neben der beeindruckenden Backsteinkirche den Domkrug (Kirchenwirt). Der Wirt ist ein gelungener Typ (sogar Sehbrillen hat er für die Leute mit zu kurzen Armen anzubieten) und seine Empfehlung ist noch besser. Er serviert vorzüglichen frischen Ostsee-Butt mit Mini-Speck-Krabben (eine knackige Shrimps-Art), Salzkartoffel und Salat. Diesmal trinken wir Wein (es ist doch Sonntag) und als Abschluss noch was Hochprozentiges (so was auf Kornbasis in tiefgekühlten Glaskolben – zum Wohl !).

Beim Heimweg sehen wir wieder einmal eine Gedenktafel, welche an die verheerende Sturmflut von 1872 erinnert. Schon in Boltenhagen und weiteren Orten fanden wir Hinweise darauf. Damals standen die Siedlungen an der deutschen Ostseeküste menschenhoch unter Wasser. Die Geschichte war die:
Ein mehrere Tage anhaltender strammer Wind aus Südwest bläst das Wasser von der Küste weg und treibt es in die vordere Ostsee. Der Tiefstand im Westen saugt Wasser über Skagerrak, Kattegat und die Belte aus der Nordsee nach, welches wiederum nach Osten weg gestaut wird. In der Nacht vom 12. auf den 13. September 1872 herrscht abends noch immer Südwestwind vor und es gibt keine Anzeichen für einen Wechsel. Die Menschen gehen zu Bett. Um 2 Uhr früh stehen viele Orte am Meer und das flache Küstenland mannshoch unter Wasser – viele Menschen sind ertrunken, andere kauern auf den Dächern ihrer Häuser, überall Zerstörung (hier möchte ich auch der vielen Toten in New Orleans gedenken – die Nachricht von dieser unvorstellbaren Katastrophe erreicht uns bald danach). Was ist geschehen ? In der Nacht schlägt plötzlich und unvermutet der Wind von Südwest auf Nordost um und das hochgestaute Wasser der östlichen Ostsee schwappt, noch angetrieben von einem heftigen Sturm, zurück in die westliche Ostsee – nichts und niemand kann es aufhalten – die Schutzbauten und Dämme sind zu schwach und zu niedrig.
Der Hochwasserstand von 1872 plus 0,5 Meter ist heute das Niveau für die Dammhöhen.


Montag, 29. August 2005 – von ECKERNFÖRDE nach KAPPELN – U-Boot-Schlepp und Schlei-Einfahrt:

Ein U-Boot am HakenDieser Wind ist eine Wucht, und diesmal passt SW zum raumen Segeln aus der Bucht. Um 11 Uhr, nach einem Einkauf, geht es weiter. Sperrgebietstonne Einige Segler sind schon losgezogen und setzen die Tücher. Gleich nach der Stadt liegt auch hier eine Marine-Basis und da tut sich heute was. Mit heftigem Signalhorn-Einsatz werden die frechen Freizeitkapitäne auf Abstand gebracht.  Einige fette graue Stahlkolosse stehen bzw. fahren vor uns herum. Schließlich wird der Vorgang klar – ein U-Boot wird abgeschleppt, hinaus aus der Förde. Wir ziehen mit Respektabstand seitlich Richtung freie See. 

Unser Schiff macht raumschots beste Fahrt – ein Stück ist Butterfliege angesagt, weil einfallendes Vorsegel und Landnähe sich nicht mehr vertragen. Später kommt uns ein Sperrgebiet (Bookniseck) in die Quere und wir ziehen außen herum. Nun geht’s nach Norden mit Full Speed. Bei 7,75 Knoten knipse ich die Logge am Display – Max-Speed denke ich. Elisabeth wird die Sache langsam zu heiß am Steuer, Klemens winkt auch ab – reffen wäre eine Möglichkeit, oder ..?.. übernehmen und drauf bleiben! Mit 8,5 kn (auf einem 34-Füssler!) rauschen wir innen beim nächsten Sperrgebiet durch und Schleimünde nähert sich mit Affengeschwindigkeit.

Schleimünde mit Leuchtturm

Kurz vor der Mitte-Fahrwasser-Tonne zur Einfahrt holen wir die Wäsche ein (ohne Rollgroß doch ein wenig Arbeit) und mit Motor sehen wir uns an, was die Schlei mit uns vorhat. Leuchtturm, Lotsenhaus und „Giftbude“ (eine legendäre Kneipe) kommen näher, ziehen steuerbords vorbei und wir sind drinnen in der Tonnenstraße – grün und rot, schön lateral. Schlei-Überblick Maasholm und das Wormshöfer Noor (ein Noor ist eine blasenförmige Ausbuchtung) müssen wir heute weglassen. Bald wird es enger und dann, nach der Biegung, ist Kappeln schon in Sicht. In Kappeln wird die große, moderne Zugbrücke über die Schlei nur jeweils um 3/4 jeder Stunde hochgeklappt. Wir möchten gerne dahinter unseren Nachtplatz suchen und geben kräftig Gas. Es geht sich trotzdem nicht mehr aus – zu doof – nachträglich gesehen aber eine glückliche Fügung, wir lernen zwei gemütliche Bootsnachbarn, die Südwind-Crew, kennen. Die alten Jungs stammen aus der Gegend an der deutsch-holländischen Grenze um Münster und sind mit ihrem Schiff die Ems runter, über Kanäle zur Elbe, dann von Brunsbüttel in den NOK und über Kiel in die Ostsee. Gemeinsam ein wenig zu plaudern macht beiden Seiten Spaß und ihre guten Tipps zum Revier können wir gebrauchen. Schlei-einwärts sehen wir uns später auch vereinzelt wieder.

Kappeln ist eine interessante 10.000-Einwohner-Stadt. Der Name stammt vom Wort Kapelle und ihr Wahrzeichen ist die feinspitztürmige Kirche St. Nikolai. Die Besonderheit darin ist der Hochaltar mit integrierter Kanzel und Orgel. Neben der sakralen Schönheit hat die nette Stadt aber auch Profanes zu bieten, allem voran der historische Heringszaun. Historischer Heringzaun in KappelnDas ist eine aus Holzpfählen und Weidengeflecht über die Zeit sorgsam erhaltene Fischerei-Einrichtung in der Schlei, in der sich die Heringe im Frühjahr vor der Laichzeit, wenn sie Schlei-einwärts wollten, verfingen. Kurz vor der Zugbrücke sind noch seitlich einige dieser Fischsperren zu sehen. Ein jährliches Heringsfest erinnert an diese Fangmethode. Kappeln hat noch immer eine größere Fischräucherei und ein Hering daraus ist fast ein Muss. Bei einem Spaziergang durch die Stadt sitzen am Rathausplatz bei der Landarzt-Kneipe (TV-Serienfreunden vielleicht bekannt) viele Menschen im Freien und genießen den beginnenden Feierabend – der Wind ist eingeschlafen, es ist heute ein angenehmer Bilderbuch-Spätsommertag. Was man in Kappeln noch kann – heiraten in einer Windmühle, eine noch museumsmäßig betriebene intakte Sägemühle (werden hier etwa Bräutigame zugeschnitten, wenn sie etwas zu klobig ausgefallen sind, oder gar die Bräute von der Großen Breite ? – aber davon später).


Dienstag, 30. August 2005 – von KAPPELN nach SCHLESWIG  – die Romantik der Schlei:

Um 9.40 sind wir heute startfertig, denn in 5 Minuten gehen die beiden riesigen Straßenteile für unsere Passage hoch. Die Zugbrücke in Kappeln Einige Schiffe warten schon auf beiden Seiten der Brücke. Die Durchfahrt ist problemlos, heute gibt es erstmals keinen Wind und ein strahlend warmer Spätsommertag passt genau für unsere Fahrt ans Ende der Schlei nach Schleswig (die Stadt ist Namensgeber für Deutschlands Landesteil am nördlichsten Ende).  Nur eine kurze Fahrt nach Süden in einem engen Abschnitt steht vorerst an, denn bald liegt Arnis an Steuerbord. Unmittelbar vor der Arniser Seilfähren-Quere finden wir einen freien Platz bei der Jachtwerft Matthias Paulsen. 

Arnis ist die kleinste Stadt Deutschlands, ganze 300 Einwohner zählt sie. Genau so klein sind die Häuser in ein paar Reihen. Fast jedes Haus hat eine Information ausgehängt – wozu es über die Jahre genutzt wurde, was bedeutungsvoll war, wer hier lebte und was seine Bewohner taten. Aussiedler gründeten ihre „Stadt“ 1667, weil sie dem damaligen Herrn in Kappeln keinen Treueeid schwören wollten.
Besonders erwähnenswert sind hier einmal die vielen Rosenbäumchen vor fast jedem Haus. Die Rose ist wohl die Lieblingsblume der Norddeutschen, vorwiegend in rot, aber auch rosa und gelb. Daneben gibt es überall auch andere Blumen, wie Sonnenhüte, Astern, Dahlien usw. und Sträucher in gepflegten Vorgärten, Rabatten, Parks und öffentlichen Anlagen. Am Westrand der Stadt steht die Fischerkirche. Fischer waren die Arniser, aber nicht nur das – um 1840 gehört auch eine Handelsflotte von 50 Schiffen zu ihnen.

Zur Mittagzeit machen wir uns auf nach Schleswig. Vor uns liegt ein gutes Stück Weg von noch rund 15 Seemeilen, es ist der Weg der Gauermann-Motive, der Romantiker, der naiven Malerei – Pferde, Viehherden, Windmühlen, schmucke reetgedeckte Bauernhöfe, weite Felder, Land an der Schlei irisch grüne Wiesen, traumhafte Wohnhäuser, Traumhütte kleine harmonische Ansiedlungen und natürlich viele Boote und Yachten am Rand der Förde, nicht zu vergessen Zelte, Wohnwägen, Reisemobile und viele Ferienhäuser.

Wir passieren eine weitere Zugbrücke, eine nostalgisch schöne in Lindaunis – diesmal klappt das Timing – eine weitere Seilfähre bei Missunde, dann folgt ein Bogen und wir kommen hinaus in die Große Breite (das ist keine Frau, sondern eine sich zum See weitende Wasserfläche der Schlei). Hier geht’s aber richtig hoch her. Eine Vielzahl weißer Flecken schmückt sie, diese Weite – Schleswigs Segelrevier vor der Tür. Ein leichter Wind steht in die Segel, alles funkelt gleißend hell im Gegenlicht. Wo viel Breit‘ ist, folgt viel Eng‘ und kurz wird es auch sehr eng und auch flach (aber gut betonnt), und dann sind wir nicht in der Großen Enge, sondern in der Kleinen Breite. Am Ende suchen wir die Abzweigung zum Stadthafen Schleswig im ausgedehnten Flachgebiet. Ansteuerung Schleswig Mit quer drüberfahren geht da gar nichts mit unseren 1,8 Metern Tiefgang. Leider war am Schiff kein Detailmaterial vom Schleirevier zu finden. Ich hatte das nicht weiter verfolgt, denn in unserem privaten Törnführer (Ostseeküste I von Jan Werner, aktualisierte Ausgabe 2004) ist die Schlei ausführlich beschrieben, aber nun passen die Tonnen am Papier mit denen im Wasser einfach nicht zusammen. Das war uns zwar schon früher aufgefallen, aber bislang gab’s noch kein Abzweigungsproblem. Schließlich können wir uns an anderen Schiffen orientieren und liegen um 15 Uhr zentral in einer Box im Stadthafen. Beim späteren Weg zum Hafenmeister wird dann das Tonnenrätsel klar. Der freundliche Mann, selbst von den Änderungen voll begeistert, sagt mir dies: Mitte 2004 wurden auf der Schlei 55 Tonnen entfernt (eine Einsparungsmaßnahme des Landes Schleswig-Holstein) und der Rest teils umpositioniert und alle frisch durchnummeriert.

Schleswig ist eine der ältesten Städte Nordeuropas mit heute rund 33.000 Einwohnern. Im Jahre 1066 gründeten sie die Überlebenden der durch die Wenden zerstörten südlichsten Wikingersiedlung Haithabu (jedes Jahr gibt es Wikingertage). Am Holm in Schleswig Schleswig hatte in seiner wechselvollen Geschichte verschiedene Herren. Das Geschlecht der Gottorfer hatte lang das Sagen. Einmal gehörte es sogar zu Russland, unter dem Zaren Peter den III., der ein Gottorfer war. Später kamen die Dänen und Schleswig wurde schließlich im Jahre 1848 zum Ausgangspunkt des Aufstandes und der Beendigung der Fremdherrschaft. Fischernetze am Holm Unter den Preußen brachte es Schleswig zur Landeshauptstadt und erst nach dem 2. Weltkrieg wurde diese Funktion von Kiel übernommen. Von weitem sichtbar ist Schleswigs Petridom, darin der gotische Bordesholmer Altar von Meister  Brüggemann, ein Juwel mit fast 400 ölgetränkten Holzfiguren, welche das Leiden Christi darstellen (so wie fast alle Kirchen hier, ist auch sie eine Evangelische). Unsere Wanderung durch Schleswig führt uns selbstverständlich auch ins „Dorf in der Stadt“, in die alte Fischersiedlung Holm. Ein Spaziergang über den Holm versetzt den Besucher in eine Art Puppenstube mit den vielen kleinen Fischerhäusern in Fachwerk und Backstein. Abends tauchen wir in die lange Fußgängerzone ein und später sitzen wir im Bräuhaus „Asgard“ und geben uns Essen und Hopfensaft nach Wikinger-Art. 


Mittwoch, 31. August 2005 – von SCHLESWIG nach MAASHOLM – ankern, baden und motoren: 

Wenn du die Schlei hineinfährst bis zum Ende, dann kannst du lange drinbleiben (es gäbe noch viel hier zu sehen), aber irgendwann muss du wieder hinaus. Wir machen nur einen Schnuppertörn, also geht es heute schon wieder zurück zur Ostsee. Der Bord-Hafenführer hatte den Stadthafen nicht als besonders ruhig bewertet, für Jan Werners OSTSEEKÜSTE I ist er dagegen 1. Wahl – wir können uns dem nur anschließen, denn schöner und angenehmer kann man kaum liegen. Es gibt auch keine Gelsen (zumindest nicht jetzt), obwohl die hintere Schlei praktisch Süßwasser ist. Gegen 11 Uhr muss es losgehen.

Heute bläst zwar wieder Wind – gar nicht so wenig aus Ost (was wir mit etwas gemischten Gefühlen registrieren, denn irgendwo im Osten liegt auch Heiligenhafen und da müssen wir wieder hin) – wir könnten also heute streckenweise segeln, trotzdem nehmen wir den Motor, um zügig voran zu kommen. Regatta auf der Großen Breite Erstens wollen wir noch irgendwo ankern und einen Sprung in die Schlei wagen und zweitens müssen wir die beiden Zugbrücken-Öffnungszeiten erwischen. Also Betonnungsfarben im Hirn umdrehen und los geht es – Kleine Breite, Große Breite (hier ist gerade reger Regattabetrieb), Seilfähre Missunde und bald danach tasten wir uns aus dem Fahrwasser in eine Ausbuchtung und ankern etwas abgesetzt in der Nähe von zwei anderen Schiffen (2 Meter Tiefe / Anker-Handbedienung wirklich kein Problem) – Mittagspause ist angesagt. Schlei - ein Minutenbad Erster Teil: schwimmen – das Wasser ist bräunlich-sauber, Moorleichen sind keine zu sehen, Elisabeth und Klemens halten es ca. dreimal so lange aus wie ich. Ich zittere und schnaube kaum eine Minute, dann fühle ich mich wie ein Polardorsch in der Tiefkühltruhe. Ein Mittagessen aus der Bordkombüse, auf das freuen wir uns jetzt alle. Es muss nicht immer Kaviar sein, heute schmecken uns Bernerwürstl mit Bier.

In der Pause nach dem Essen schauen wir über die Schlei hinein ins Land, ein stilles, gutes Land, es ist das Land um Missunde, die Wohngegend (nur 3 km von hier) eines großen Seemannes (sein Name lässt dies gar nicht vermuten) – dreimal kannst du raten, wie er heißt: Schenk (nein, das ist ein Bayer), Schröder (willst du mich verarschen), Erdmann (bravo, gewonnen, gewonnen). Wilfried Erdmann macht mit seiner Frau Astrid 1993 von hier startend seine große Ostsee-Umrundung auf seinem Schiff Kathena 7 (3.317 sm von Anfang Mai bis Ende September). Diese Fahrt führt die beiden von hier nach Osten bis Polen, dann zu den Baltischen Staaten, es folgt St. Petersburg in Russland, an Finnland hinauf ganz in den Norden bis nach Kemi im Bottnischen Meerbusen, die Ostküste Schwedens südlich bis zum Göta-Kanal, nun quer hinüber nach Göteborg, zuletzt noch einen Schlag nach Larvik in Norwegen und über Skagen dem östlichen Jütland entlang wieder zurück in die Schlei. Das alles ist Ostsee – welch ein Törn ! Dreimal hatte Erdmann zuvor schon segelnd die ganze Erde umrundet – einhand als erster Deutscher, dann mit seiner Frau, danach noch einmal einhand und nonstop. Nicht genug, im Alter von 60 Jahren will er es noch einmal wissen; seine vierte Umrundung, einhand-nonstop und gegen die vorherrschende Windrichtung – dies heißt für ihn 343 Tage allein mit Freud und Leid in den härtesten Revieren der Erde. Erdmann – ein harter Mann von der Schlei !
Zugbrücke bei Lindaunis
Um 14 Uhr passieren wir die Zugbrücke Lindaunis (gerade noch geht es sich aus), backbords zieht Arnis mit der „Schleiperle“ (das bekannte Stelzen-Restaurant auf dem Wasser) vorbei und um 15.45, nach kurzer Wartezeit mit seitenwindigem Zwischenstopp (der Ostwind legt zu), haben wir auch die Brücke von Kappeln hinter uns. Eigentlich wollen wir die Nacht beim Anleger in Schleimünde verbringen, aber mir erscheint die Angelegenheit bei diesen Ostwind-Verhältnissen zu unruhig.  Schnell studieren wir die Beschreibung zu Maasholm (das liegt etwas weiter innen in der Schlei) und dirigieren unsere KEFALONIA durch die Fahrwasserrinne dort hin. Um 16.30 haben wir eine Grüntafelbox belegt – Maasholms Marina ist riesig und auch nicht übertrieben windstill, aber es geht.

Maasholm ist ein kleines Fischerdorf. Trotz der Riesenmarina (500 Liegeplätze) hat sich ihr ursprünglicher Charakter gut bewahrt. In der Marina Maasholm Wir drehen eine Runde durch den freundlichen Ort, alles ist pikobello sauber gerichtet und es gibt viele Wirtschaften für die zahlreichen Gäste. Vom Fischerhafen aus starten häufig Hochsee-Angelfahrten für Gäste. 1993 habe ich von Nakskov auf Lolland aus im Langeland Bælt eine solche Tour mitgemacht und kam mit 15 Stück herrlich frischem Ostsee-Dorsch zurück; so ein Ausflug kann sich also durchaus lohnen. Gleich geht's los Bei unserem Spaziergang entlang von Maasholms Hafen, dort wo „De Fischer un sien Fru“ im Garten sitzen, da sehen wir weiter draußen im Flach einer Yacht beim Ankermanöver zu, na und ? Die Nationale erregt unser Interesse – es ist die Österreichische, die erste und einzige bisher, aber das Schiff ist zu weit weg, um rufend Kontakt aufnehmen zu können. Heute ist östlich des Ortes im Flachwasser Hochbetrieb. Der steife Ostwind hat die Wind- und Kite-Surfer in beachtlicher Zahl aus den Häusern gelockt. Mit enormer Geschwindigkeit rauschen sie über das flache Wasser hinweg, springen hoch hinaus, wenden mit affenartigem Tempo und versinken da und dort auch einmal in den Wellen. Dass sich ihre Drachenschirme gegenseitig nicht verfangen, dies scheint uns zu der erforderlichen Akrobatik noch besonders schwierig. Lange sehen wir ihnen zu.

Abends sitzen wir beim „Störtebeker“ – nicht beim Piraten selbst, der ist schon lange kopflos kurz – sondern in einem netten Restaurant. Die Crew beim Störtebeker Zu Maasholm passt Fisch und die Auswahl ist vorzüglich, auch die Phantasienamen der Gerichte sind einmalig. Klemens will heute doch Fleisch und nimmt einen „Doppeldecker“ (Cordon Blue), Elisabeth entscheidet sich für „Flaschenpost“ (köstlichster Ostsee-Dorsch) und ich, ahnend was uns morgen erwarten könnte, nehme „Schimmelreiter“ (gebratene Heringe im Vierer-Gespann). Dazu trinken wir Störtebeker Schwarzbier >Das Bier der Gerechten<. Das dauert vorerst einmal, denn der Wirt ist ein Schaumkronen-Fetischist. Dafür hält die gelbweiße Haube auch bis zum letzte Schluck und alle Entnahmen sind am Glas als Jahresringe ablesbar. Ich frage den Wirt nach den morgigen Windverhältnissen, aber da ist nichts heraus zu holen: „Da hab ick kene Ahnung vonn, so wenik wie die Meteorolügen !“. Alles was er will ist, dass der Ostwind bald wieder nachlassen sollte, denn er braucht frischen Fisch für sein Lokal und bei diesen Verhältnissen fahren die Fischer nicht aufs Meer – na, dann Prost und Mahlzeit, wir möchten morgen schon hinaus.


Donnerstag, 1. Sep. 2005 – von MAASHOLM nach BAGENKOP – Schimmelritt auf der wilden Ostsee: 

Die ganze Nacht bläst der Wind, auch in der flachen Marina von Maasholm. Halbwach höre ich ihn vereinzelt rütteln und denke mir: „Blas dich nur aus, dann kannst du morgen ruh’n!“. Diese Hoffnung geht nicht auf. Um 9 Uhr pfeift es noch immer in den Wanten und wir pfeifen raus, ebenso unsere Platznachbarn, ein Dänen-Paar, ihr Segler mit einem stabilen Aufbau, festem Glas und Scheibenwischern. Sie wollen nach Dänemark zurück, wir möchten nach Heiligenhafen.

Die kurze Anfahrt nach Schleimünde ist noch flach, aber der Windgenerator im Osten ist nun schon gute 24 Stunden auf Vollbetrieb – Jan Werner schreibt dazu im Törnführer:

Wahrschau !
Bei starken Winden aus E läuft eine gewaltige Welle, die es unmöglich macht, aus der Schlei herauszukommen
.

Ein steifer Wind Die Sprayhood ist schon aufgestellt und auch sonst sind wir vorbereitet – Loses ist verräumt, die Seeventile sind zu und die Kleidung ist angepasst. Eine Grand Soleil 45 aus der hinteren Schlei kommt noch zur Gruppe und schon stechen wir gemeinsam mit ihr in die Wellenberge. Die Dänen, knapp hinter uns, zeigen uns einige Male die Schiffsunterseite bis zum Kielansatz und unser Schiff hüpft nicht minder. Alle drei Schiffe fahren unter Motor aus der engen Schlei, anders wär ’s auch nicht gegangen. Nun aber sind wir durch die ärgsten Hügel und die Tücher müssen rauf. Wir setzen das Groß mit Reff 1 (bei guter Leinenführung ohne Reffhaken alles vom Cockpit aus) und passen die Rollfock dazu an. Die Grand Soleil 45 zieht rasch mit Halbwind gegen Norden (ein schönes schnelles Schiff – bald werde ich in Kroatien eine solche für eine Woche übernehmen), die Dänen gehen mäßig an den Wind, nur wir, wir brauchen/bräuchten viel viel Höhe und müssen härter ran. Außer uns drei Schiffen, den drei Wahnsinnigen, ist weit und breit – nicht vor uns am Meer und nicht hinter uns auf der Schlei – nirgend jemand zu sehen.

Wind und Wellen einfach verschlafenKlemens legt sich im Schutz der Sprayhood auf die Bank – z. Z. ist für ihn nichts zu tun und gestern abends wurde es etwas spät beim Lesen – Krimispannung – drei Stück verschlingt er auf diesem Törn: Mit Henning MANKELLs Kommissar Wallander jagt er die Täter in >Hunde von Riga< Krimi-Klemens sowie beim >Mittsommermord< und bei Arne DAHL sorgt >Böses Blut< für eiskalte Verbrechen. Håkan NESSERs Kommissar Van Veeteren muss heute leider >Das grobmaschige Netz< allein überwachen, denn Klemens ist momentan seebedingt lese-verhindert.

Bei uns mordet zum Glück niemand am Schiff (harmonisch ging es bisher zu), mörderisch ist heute nur die See. Wir haben am Steuer schön zu schaffen, es ist ein Schimmelritt zwischen den wehenden weißen Mähnen der Wellenpferde. Ab und zu ist trotzdem nicht zu verhindern, dass unsere Madonna Bavaria über eine Welle hochgeht und dann im freien Fall ins Loch knallt. Dies ist bekanntlich weder für das Schiff noch für die Crew auf die Dauer sehr bekömmlich. Einige Wellenkämme züngeln immer wieder hoch und sorgen für gute Kühlung – sie verhindern zudem die Austrocknung der Haut. Dies ist das Gute an der Ostsee – die Salzkruste auf Gesicht und Kleidung wird nicht so dick wie anderswo – think positiv !

Es hält sich heute feuchtEigentlich hatte ich auf eine Rechtsdrehung des Windes gehofft, aber die Richtung bleibt konstant und die Stärke nimmt noch zu. An die prognostizierten 5-6 Bft. glaube ich schon einige Zeit nicht mehr; wie war das – Meteorolügen ! (zu deren Ehrenrettung: beim nächsten Bericht korrigieren sie auf 7 Bft.). So kommen wir nur mit Kreuzschlägen nach Heiligenhafen und damit zeitlich sicher in die Dunkelheit. Uns ist gar nicht nach Nachtfahrt zumute bei diesen Verhältnissen – zwar auch nicht nach Navi-Tisch, aber es muss sein. Nach einem schnellen Überblick auf der Karte (es wird höchste Zeit, dass ich wieder nach oben komme, weil das Frühstück schon unruhig wird) entscheide ich eine Zielverlegung zum dänische Langeland und dort nach Bagenkop, also ganz schön weiter nordwestlich (fast 30 Meilen) von ursprünglichen Ziel Heiligenhafen.

Etwas Arbeit am SteuerNun muss es nicht mehr so hart am Wind sein und nach einiger Zeit wirkt sich die beginnende Abdeckung durch Langeland beruhigend aus. Die Insel Ærø liegt nun schon seitlich backbords hinter uns und in der Marstal Bugt, nahe Langelands Küste, wenden wir und steuern das etwas südlicher liegende Bagenkop an. Schimmelreiter-Frisur Um 15.30, nach über 6 Stunden Ritt über die wilde Ostsee, legen wir in einer Dalbenbox – diesmal schwungvoll wegen Seitenwind – erleichtert an. Die dänische Flagge setzen wir erst im Hafen. Den südlichsten Skandinaviern ist unsere Fahrt über die Schengen-Außengrenze eher schnurz egal – keiner will was von uns (Pässe etc.), nur der Hafenmeister holt sich nächsten Morgen sein Salär.

Bagenkop ist ein kleines, verschlafenes Dorf. Bis 2003 verkehrten hier große Fährschiffe mit Kiel, aber seit der Durchgängigkeit der Autobahn über Jütland, Fünen und Seeland nach Schweden ist die Mühle zu. Blick zur Marina Bagenkop Für Segler wird Bagenkop als Zwischenstopp in die dänische Südsee und eben auch als Fluchthafen genutzt. Wir machen eine etwas größere Wanderung durch Ort und Umgebung bis zur Kirche (sie hatte uns als Ansteuerungsmarke gedient) und abends essen wir noch eine Kleinigkeit im Marinarestaurant (ein anderes können wir nicht finden). Unser Hunger will heute nicht so richtig aufkommen, nach diesem Schleuderkurs. Beim Zahlen (die Preise sind in Kronen, aber es geht mit Euro) ist der kleine Hunger ein Vorteil, denn in unserer Kronen-Umrechnung steckt ein Fehler und es wird trotz Kleinigkeit recht teuer (der Bierpreis lässt dir den Durst klein werden – Euro 5,- pro Halbe).

Freitag, 2. Sep. 2005 – von BAGENKOP nach HEILIGENHAFEN – Gewitter, Nebel und ein guter Schluss:

Ein Licht am Ende von LangelandNa ja, es ist ja seit gestern schon September, da wird wohl ein grauer Tag erlaubt sein. Morgens blitzt und kracht es zuerst, dann schüttet es und schließlich zieht sich der Himmel völlig zu. Fallweise regnet es leicht und Nebel fällt ein. Um 8 Uhr verlassen wir Bagenkop und mit uns noch mehrere andere Schiffe – alle wollen nach Heiligenhafen. Die Positionslichter gehen an, die Segel hoch, draußen weht ein leichter SW. Manchen ist er zu leicht und lassen die Wäsche unten, wir dagegen gehen auf Doppelantrieb und fahren recht gut damit. Langelands Leuchtfeuer auf der Südhuk durchsticht zuletzt gerade noch die Nebelsuppe, dann gehen wir auf 140°. Draufbleiben ist nun die Devise und in Ruhe weiterfahren, aber das ist uns auf Dauer nicht gegönnt.

Für einen Durchstich durch die Wasserstraßen wird es Zeit – ja, richtig gelesen, es geht schon wieder los mit dem leidigen Dickschiff-Gerangel. Bedrohliches Dickschiff Vor uns liegt der Weg T (Verbindung Kleiner Belt und vordere Ostsee) und kurz danach der Kiel-Ostsee-Weg für alle Schiffe aus/nach Kiel, dem Nordostseekanal sowie auch Flensburg (östlich unseres Kurses vereinigen sich beide Wege). Ein Bagenkop im RegenDer Moment ist für uns wieder günstig – knapp hinter uns zieht ein Brummer nach Nordwesten und ebenso vor uns einer Richtung Südosten. Aber dann kommt im Gefolge, erst schemenhaft, dann schnell aus dem Nebel auftauchend, neuerlich einer. Na, dann gib mal etwas Gas, Mädel ! Knapp vor uns ist die Sache einem anderen Segler unter Motor gar nicht mehr geheuer. Plötzlich schlägt er einen Haken und fährt zurück. Wir bleiben drauf und sind dabei offensichtlich so überzeugend, dass sich unser Freund ein Herz nimmt und knapp hinter unserem Heck wieder auf den alten Kurs einschwenkt.
Es geht sich schließlich für beide gut aus – wir haben den Spiegel noch dran und der Dicke verliert sich rasch im Osten. Das war der erste Weg – nun kommt der zweite, aber der ist frei für uns. Die Mitte-Fahrwasser-Tonne KO4 (Kiel-Ostsee-Weg) bleibt knapp an Steuerbord, dann sind wir bald wieder in ruhigen Gewässern.

Der Rest macht keine Probleme mehr. Die Sicht ist zwar so bescheiden, so dass wir diesmal die Insel Fehmarn mit der Brücke nur erahnen – sehen können wir sie nicht. Wir finden die Tonnen für die Einfahrt nach Heiligenhafen und Elisabeth steuert ganz hinten die Tankstelle neben dem Steg 12 an. Nebeleinfahrt Heiligenhafen Mit 27 Liter Verbrauch (war ja doch ein Segeltörn) tun uns hier die deutschen Treibstoffpreise noch nicht weh, was später beim Auto auftanken anders aussieht – knapp Euro 1,50 für den Liter Super und der Tank muss voll sein für die Reise in die heimatliche Gegend. Um 13.30 Uhr liegen wir und unsere Ostsee-Griechin KEFALONIA nach 183 Seemeilen wieder gut und unbeschadet am Steg 12 auf Platz 25.

Die Schiffsrückgabe läuft problemlos. Kleine Mängel werden mitgeteilt und die großen vertuscht – Spass beiseite, wir hatten keine großen technischen Probleme. Auf die „Nice to have“-Liste schreibe ich eine Windstärkenanzeige, eine 12-Volt-Steckdose (eine solche musste ich mir selbst zum Akkuladen anklemmen) und eine bessere elektrische Lenzpumpe (besser: ein dichtes Schiff). Schiffsräumung und Autobeladung ziehen wir rasch durch und die Endkontrolle geht schnell und ohne Kleinkrämerei. Der Espace steht noch gut im abgezäunten Marina-Parkplatz (alles ohne Aufpreis) und er springt auch an. In Zentrum von Heiligenhafen vertreten wir uns noch ein wenig die Füße und stärken uns vor der langen Reise – die letzten Bratheringe und Matjesbrötchen und eine Schorle dazu, diesmal vom Apfel. Und dann, dann starten wir – heute wird es eine Nachtfahrt.


Heimreise und Ausblick – Fr. 2. auf Sa. 3. September 2005:

Um 16.30 geht es los, rund 1.000 km liegen vor uns. Diesmal lassen wir uns direkt nach Süden treiben. Einstieg für 1000 kmBei Hamburg, Hannover, Kassel ist es eng mit einigen Stehern. Später wird es lockerer und damit flotter. Der Espace spult Kilometer um Kilometer – eine kleine Pause – eine kleine Jause – Fahrerwechsel – Nürnberg, Regensburg, Passau. Ab 2 Uhr früh kühlt der Motor in der Sparkassenstraße aus und wir schlafen bald wie die Murmeltiere. 

Die Dinge sind gesagt. Als Skipper bedanke ich mich herzlich bei meiner patenten Kleincrew für’s Mitmachen und als Berichterstatter bei dir, lieber Leser, für’s durchhalten. Es war – ich hoffe, es ist raus gekommen – eine interessante Reise im Verlauf und doch eine kleine Herausforderung an und in Deutschlands Förden. Ein paar trockene Infos und Details, aber auch etwas Stimmung und Romantik hat der Bericht hoffentlich herüber gebracht. Für uns ist ein Anfang an der Ostsee gemacht und ich glaube, wir kommen wieder – nicht gleich, aber evt. in 2, 3 Jahren. Hier denke ich an die vordere deutsche Ostsee um Rügen, vielleicht um einen Monat früher im Jahr.

Ein paar Hinweise und Daten zu Schiff, Revier und Törn:

Charter:
Bavaria 34 – gechartert bei YACHT-CHARTER-OSTSEE(.de) ab Heiligenhafen
für die Nachsaison 27.8. – 2.9.2005 mit Frühbucherrabatt (per Ende November 2004)

Kosten:

Charter inkl. Reisepreis-Sicherung Euro 1.127,50 (1/3 sofort, Rest 4 Wo. vor dem Törn)
Endrein. Euro 55,- bar / Gas Euro 20,- / Kaut. Euro 511,- (MC) / PKW-Parkplatz inkl.

Schiffsausstattung:

Radsteuerung (eine Ausnahme an der Ostsee – normal ist Pinne für die Schiffsgröße)
Roll-Vorsegel (Fock angeschlagen, Genua für ev. Wechsel im Sack)
Lattengroß (Rollgroß haben wir im Revier kaum gesehen)
eingebauter GPS ohne Plotter
Automatik-Rettungswesten für alle Crewmitglieder
keine Ankerwinsch (nur kleiner Anker, Kettenvorlauf, Leine, Klampe – 1 x ankerten wir)
kein Autopilot, kein Windmesser, kein Cockpittisch (auch nicht mobil)
kein Beiboot (wir haben auch keines gebraucht)
kein Bettzeug (Decken, Polster) und auch keine Bettwäsche
Diesel-Standheizung in bester Wirkung und einfachster Funktionalität (1 Drehschalter)

Termin-Besonderheiten:

Charterbeginn Samstag 8 Uhr früh (Übernachtung ab Freitag 21 Uhr möglich)
Charterende Freitag um 17 Uhr (Schiff verlassen – keine Übernachtung mehr möglich)

Revier:

In unserer Woche mit recht viel Wind (das ist hier häufig so).
Es ist kein Baderevier, zumindest nicht mehr im Spätsommer (1 x Sprung in die Schlei).
Sehr viele flache Gewässer und viele Seezeichen.
Beachtlich viel Leicht- und Schwerverkehr (Segler und Großschifffahrt).
Militärische Gefahren-, Warn- und Sperrgebiete sind zu beachten.
Ab Heiligenhafen nach Westen bis Kiel praktisch kein geeigneter Hafen (über 30 sm).
Wetterberichte sind sehr gut verständlich im Funk empfangbar (Kiel Kanal 23).
Kurz: Revier etwas anspruchsvoller als die Adria, bei Vorbereitung gut machbar.
Marina-Gebühren nicht halb so hoch wie in Italien oder Kroatien.
Charterabwicklung problemlos – tel. direkt in Heiligenhafen.
Kein Behördenkram, keine Crewlisten, keine An-, Ab-, Aus-, Ein-Meldungen erforderlich.
Das Führen eines Logbuches ist verpflichtend (sehr kompakt – 1 Zeile pro Tag).
Sanitär-Anlagen überall vorhanden und sauber (warme Dusche meist gegen Aufpreis).
Fischgerichte sind köstlich und kosten viel weniger als am Mittelmeer.
Städte, Orte und das Land sind absolut sehenswert (Hanse-Gebiet).
Die Menschen sind freundlich – das Deutsch da oben kann man lieben oder nicht.
Manche Fragen muss man wiederholen – unsere Sprache versteht nicht jeder sofort.

Ein paar Revierführer
Literatur
(von uns verwendet):
Seekarten (2 Kartensätze) und ein Hafenhandbuch vom Schiff (alles Stand 2005)
Törnführer OSTSEEKÜSTE I (Travemünde bis Flensburg) von Jan Werner (2004)
Revierführer OSTSEE vom DSV-Verlag (gut wegen Sperrgebiete-Überblick)
Deutsche OSTSEEKÜSTE – Wohnmobil kompakt (gute Beschreibung für Landgang)
Urlaub an der deutschen Küste (ein DUMONT-Reiseführer).

Zum Schlusse, lieber Leser, bedenke dieses wohl:

Gleich wie bei Fischern und bei Jägern, so ist es meist auch bei den Seglern – manches ist erfunden, das andere erlogen, der Rest, der ist ganz einfach aus den Fingern rausgezogen.

Bei unserem Bericht ist natürlich alles nur die reine Wahrheit !

Mit einem typisch norddeutschen MOIN MOIN und TSCHÜ TSCHÜSS
grüßen dich und verabschieden sich für diesmal herzlich

Elisabeth, Klemens und dein Ostsee-Anton

PS:
Möge mich keiner Toni-Dalbenknacker nennen – wir haben alle für dich stehen gelassen !
Grundleinen gab es auch keine, also Tony-Mooringkiller kannste och vergessen !