Von Istanbul nach Lesbos: Menschliche kontra Künstliche Intelligenz

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Zu Frühjahrsbeginn 2023 poppt das Thema KI (Künstliche Intelligenz) in den Medien so richtig auf. Die US-Firma OpenAI hatte das auf Artificial Intelligence (AI) basierende Programm ChatGPT allgemein zugänglich freigegeben. Dieser Chatpot mit dem Zusatz Generetiv Pretrained Transformer wird als besonders schlaues Roboter-Kerlchen hochgejubelt und reizt alle in dieser Sparte empfänglichen Zeitgenossen. Meine berufliche Vergangenheit hat diesbezüglich auch bei mir durchaus Spuren hinterlassen und so registriere ich mich beizeiten via chat.openai.com: Vor- und Zuname, Telefonnummer, Email-Adresse und Passwort verlangt das System.

Zuvor hatte mich ein Segelfreund zu einer Schiffsreise von Istanbul nach Lesbos auf seinen Segelkatamaran eingeladen. Ich nahm gerne an, weil mich der Graben zwischen Europa und Asien schon länger interessierte und ich für die Strecke durchs Marmarameer und die Dardanellen noch keinerlei persönliche Erfahrung vorweisen konnte. Zudem versprach die Crewzusammensetzung ein paar lustige Tage.

Für Ostermontag war die Anreise nach Istanbul geplant und gleich am Folgetag sollte es früh am Morgen losgehen.

Ich habe mit der Törnplanung eigentlich nichts zu tun, aber so ganz blank will man ja auch wieder nicht auf Reisen gehen. Also schau ich mir das Revier einmal ein wenig an und stelle fest, dass so in etwa gute 200 Seemeilen vor uns liegen würden. Die sollten in den vorgesehenen 8 Fahrtagen bei brauchbaren Verhältnissen gut machbar sein und auch der eine oder andere Besuch von Orten und Sehenswürdigkeiten könnte sich dazwischen ausgehen. Soweit, so gut, aber da geistert so nebenbei noch ChatGPT in meinem Kopf herum und meint, hier könnte man doch einmal die Künstliche Intelligenz befragen. Gedacht, getan – anmelden und Frage stellen (alles frei formuliert und auch noch in der gewohnten Muttersprache). Es dauert weniger als 2 Minuten, dann spuckt die KI das Ergebnis aus (siehe Text im Kasten).

Fürs Erste staune ich einmal rein formal gesehen: sehr kompaktes Ergebnis, gut strukturiert, tadellose Ausdrucksweise, also ein verblüffender und schneller Gesamtüberblick. Beim zweiten Blick sind die erwähnten Orte laut Reiseführer durchaus einen Besuch wert und was die Abfolge betrifft, so jedenfalls einmal ein grober Anhaltspunkt. Details zu den einzelnen Stationen scheinen nicht auf, aber die lassen sich ja aus den Revierunterlagen entnehmen. Interessant finde ich auch den Hinweis im abschließenden Absatz, dass Segeln eben sehr wetterabhängig ist und daher sich unter ungünstigen Bedingungen manches anders als sinnvoll erweisen könnte. Ich lass mich also überraschen. Wie werden die Voraussetzungen vor Ort sein und was wird der Skipper, unbeeinflusst von den KI-Überlegungen, aus dem Törn machen?

In der Folge wird also die KI-Planung durch die MI-Durchführung des Schiffsführers overrult. Du kannst somit nachstehend erlesen und vergleichen, was die Menschliche Intelligenz, speziell aufgrund der tatsächlichen Bedingungen, anders gemacht hat:

Am Ostermontag reisen wir zu zweit via Flug von München/MUC nach Istanbul/SAW an, wechseln von der asiatischen Seite mit der U-Bahn unter dem Bosporus zur europäischen und sind da in der Marina Ataköy am Marmarameer. Der Skipper/Schiffseigner und ein Begleiter sind schon an Bord des 45-Fuß-Katamarans Lagoon 450 „El Greco IV“. Beengt brauchen wir uns nicht fühlen – für jeden steht eine eigene Doppelkabine mit Nasszelle bereit. Gemeinsam dazu kommen ein Panoramasalon mit Pantry und Innensteuerstand, ein abgeschlossener Wintergarten und eine Flybridge mit Außensteuerstand und Rundum-Spritzschutz. Ausreichend Segelfläche inklusive riesigem Gennaker  und 2 kräftige Motoren als Alternativantrieb seien so nebenbei erwähnt, aber für das Vorwärtskommen doch von erheblicher Bedeutung. Nach einem ersten ruhigen Schlaf kann es losgehen für Skipper Felix, Ferdinand, Josef und Anton.


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Fahrtag 1 – Dienstag, 11. April 2023:

Von Istanbul zum Hafen Cakil

Der Morgen ist wolkenverhangen, kaum Wind und der, eh schon wissen, aus der falschen Richtung, der Wetterbericht unerfreulich: Regen steht vor der Tür und zu allem Überfluss wird nach drei Tagen ordentlich Südsturm prognostiziert. Da möchte der Skipper schon reichlich im Süden sein, also Motoren an.

Ein graues Marmarameer ist nicht übermäßig erbauend, um nicht zu sagen eher eintönig, jedoch hält sich zumindest der Regen zurück und nach 54 Meilen bei Kurs 233° biegen wir auf der Ostseite der Yarimadasi (Halbinsel) Kapidag in den Fischerhafen Cakil ein.

Platz haben wir für die Nacht, aber es ist ein gottverlassenes Nest. Restaurant? Fehlanzeige! Market vorhanden! Spaziergang? Möglich, aber ein aufgeräumter Ort ist das beileibe nicht! Verständigung mit Einheimischen? Englisch? Fehlanzeige! Etwas Türkisch geht mühsam mit Google-Übersetzer! Wie gut, dass bei uns selbst noch reichlich Gesprächsstoff vorhanden ist und wir uns selbst versorgen können.


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Fahrtag 2 – Mittwoch, 12. April 2023:

Von Cakil nach Canakkale

Nun ist der Regen gekommen um reichlich zu bleiben. Zeitiger Aufbruch und wieder Motorfahrt – nördlich vorbei an der großen Halbinsel, dann zwischen der Marmara Adasi und den südlichen Inseln hindurch in Richtung Osteinfahrt in die Dardanellen. Die Sicht ist teilweise sehr beschränkt und die Temperaturen unter 10 Grad. Da loben wir uns das trockene und beheizte Wohnzimmer mit Steuerstand.

Am späteren Nachmittag klart es auf und bei der neuen Brücke über die Dardanellen, der „1915 Canakkale Körprüsü“, zeigt sich der Himmel sogar schon wieder blau. Unser Ziel für heute kommt nun rasch näher und nach rund 80 Seemeilen kurven wir in die Marina von Canakkale.

Hier finden wir zum einen ein Trojanisches Pferd am Hauptplatz und quirliges Leben, dazu reichlich Geschäfte und Restaurants – eines von diesen versorgt uns an diesem Abend ausgezeichnet (allerdings räumt es auch kräftig Türkische Lire aus der Bordkasse).


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Fahrtag 3 – Donnerstag, 13. April 2023:

Von Canakkale nach Ayvalik

Von Canakkale aus lässt sich am Landweg das antike Troja gut besuchen und so war es eigentlich auch vorgesehen, aber die Wetterprognose empfiehlt dringend die Weiterfahrt. Wir müssen nach der Südwest- und Westroute nun gleich nach der Dardanellen-Passage in südliche Richtung und das bevor der große Wind von dort zu erwarten ist. Unser Ziel ist dort vorerst die türkische Stadt Ayvalik am asiatischen Festland, wo wir ausklarieren müssen und dann nur mehr ein paar Meilen oder einen Katzensprung weit von Lesbos Ostseite entfernt sein werden.

Wiederum brechen wir früh am Morgen auf, denn neuerlich haben wir rund 80 Seemeilen für den Tag am Plan.

Um 07:45 ist die Dardanellenfahrt abgeschlossen und wir stechen für rund 30 Meilen in den Süden. Danach liegt die gleiche Entfernung bei östlichem Kurs vor uns. Vereinzelt ist auch die Segelgardarobe im Einsatz, kaum alleine, aber zur Unterstützung.

Kurz vor 17 Uhr liegt die El Greco IV fest in der Baustelle der Marina Ayvalik. Wir lassen den Rest des Tages in der Stadt gemütlich ausklingen und genießen den ruhigen Abend. In der Nacht jedoch beginnen die Wanten zu singen – der Südwind ist da.


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Hafentag – Freitag, 14. April 2023:

Türkisches Leben in Ayvalik

Den auch in der Stadt recht windigen Tag nützen wir für einen ausgedehnten Stadtrundgang mit Lokalbesuchen zum Frühstück, zu Mittag und am Abend und genießen das türkische, kaum touristisch beeinflusste Ayvalik.

Wir streunen durch die belebten Gassen, besichtigen eine Moschee (ohne Schuhe natürlich) und versorgen uns mit ein paar Mitbringsel bei den vielen Marktständen und Geschäften entlang unseres Weges.

Ayvalik und das Hinterland sind bekannt für ausgezeichnetes Olivenöl. Ein paar schöne Flaschen davon kann man schon zum Verteilen gebrauchen.

Für den nächsten Tag organisieren wir bereits ein Taxi für einen Landausflug. Wenn schon aus der Troja-Besichtigung nichts geworden ist, dann gibt es in der Umgebung ja auch noch eine sehr reizvolle Alternative.


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Landausflug – Samstag, 15. April 2023:

Ein Besuch in Pergamon

Nach einen türkischen Frühstück steht das Taxi neben dem Denkmal für Kemal Atatürk schon bereit und bringt uns in einer Stunde Fahrt zur Stadt Bergama und dort den Hügel hinauf zum antiken Pergamon.

Die noch vorhandenen Reste (was die Deutschen nicht nach Berlin in Pergamon-Museum verschleppt haben) des einstigen griechischen Zentrums der Region sind beeindruckend und sicher wesentlich imposanter, als es die Ausgrabungen in Troja gewesen wären. Während des 3. und 2. Jahrhunderts v. Chr. war Pergamon Hauptstadt des Pergamenischen Reichs, das sich über große Teile des westlichen Kleinasiens erstreckte.

Wir durchstreifen die weitläufige Anlage mit der traumhaften Aussicht und sind recht froh, dass wir uns für diesen Ausflug entschieden haben. Unser Taxler ist ebenfalls happy, ist er doch auch das erste Mal hier und kann zudem sein mageres Einkommen mit unserer Gage etwas auffetten.

Zurück in Ayvalik geben wir uns noch ein nettes türkisches Abendessen zum Abschluss.


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Fahrtag 4 – Sonntag, 16. April 2023:

Von den Türken zu den Griechen

Draußen am Meer ist es wieder ruhig geworden. Gleich nach dem Frühstück verholen wir uns zur gut entfernten Zollmole am Nordende der Stadt.

Die nun folgende Prozedur würde ich kurz als aufreibend, schikanös und abcashend bezeichnen. Nur mit Agentengage und saftigen Gebühren wird das Ausklarieren möglich. Erst zu Mittag dürfen wir die gastliche Türkei verlassen und machen uns auf den Weg zur griechischen Insel Lesbos.

Heute sind es nur 20 Meilen bis zur Hauptstadt Mytilini, wo die El Greco für ein paar Wochen eingeparkt werden soll. Der Tag zeigt sich nun von der beste Seite: strahlend blauer Himmel, angenehme Temperaturen und ein brauchbarer Wind. Sogar eine Wende darf der Katamaran machen.

Auch bei den Griechen dauert der Bürokram etwas, aber dann können wir vom Zoll zur Marina wechseln und können uns nun wieder über die EU und den Euro freuen.


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Hafentag – Montag, 17. April 2023:

Griechisches Leben in Mytilini

Heute gibt es Frühstück im Marina-Restaurant in Mytilini. Das Besondere daran ist nicht das Angebot – geht als sehr gut durch, sondern die ausgesprochen hübsche und extra taillierte Bedienung. Damit ist ohne Absprache vereinbart, dass wir nicht das letzte Mal hier sein werden.

Nach verständlicherweise länger ausgefallener Morgenverpflegung durchwandern wir die hübsche Stadt, möchten eigentlich die Burganlage auf der Nordostseite der Stadt besuchen, geben uns aber zu lange dem griechischen Inselleben hin und sonnen uns gemütlich bei einem Mittagsbier.

Die Tagesgestaltung geht auch, wir sind so frei, ohne Skipper. Der erledigt einige Arbeiten am Schiff, nötige Formalitäten im Marinabüro (der Kat soll ja ein paar Wochen hier alleine liegen bleiben) und besorgt einen Leihwagen für eine morgen geplante kleine Inseltour bzw. für unseren übermorgigen Transfer zum Flughafen.

Zum Abendessen sitzen wir alle gemeinsam wieder – na, eh schon klar.


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Inselrunde – Dienstag, 18. April 2023:

Eine Spritztour in den Norden

Mit über 1.600 km2 ist die Insel Lesbos viel zu groß, um an einem Tag einen Gesamteindruck zu gewinnen. Wir haben Mut zur Lücke und entscheiden uns für eine Runde in den Norden. Das Frühstück fällt kürzer aus (unsere Traumfrau hat ohnehin frei) und dann sind wir schon mit unserem KIA-SUV auf Achse. Unser Skipper hat schon wieder das Ruder, nein Steuer übernommen und wir geben uns hügelauf und hügelab die Insellandschaft.

Es geht vorbei an der großen Wasserblase namens Kolpos Kallonis, dann über die Berge hinauf und hinunter zur Nordwestküste zum Hafenort Petra. Der wohl namengebende riesiger Felsklotz mittendrin beherrscht die Siedlung mit einer Kirche obendrauf. Der Aufstieg über die 114 Stufen ist kein Problem, nur die Panagia Glykofilousa ist leider versperrt, aber die Rundumsicht allein ist lohnend genug.

Als weitere Station pausieren wir in Mithymna. Die mächtige Festung erklimmen wir nicht, dafür besuchen wir den Hafen mit FRONTEX-Station und ein uriges Lokal fürs verspätete Mittagessen. Teilweise entlang der Nordküste drehen wir uns wieder der Inselostseite zu. Schließlich sehen wir in der Ferne das Flüchtlingslager Kara Tepe (Schwarzer Hügel) und sind verwundert, wie wenig auffällig das große europäische Problem hier augenscheinlich wird. Zurück in Mytilini gönnen wir uns vor der morgigen Heimreise noch ein griechisches Abschiedsessen hoch über dem Hafen.


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Abschluss und Resümee

Einpacken, aufräumen, staubsaugen, wischen, dann ist unser gastliches Heim wieder weitgehend fit für eine Folgecrew. Noch ein Abschiedsbesuch im Marinarestaurant, Gepäck verladen, Flughafen fahren, Leihwagen abgeben, Flug mit Umstieg in Thessaloniki nach München, Heimfahrt mit dem PKW – erledigt.

Und was war das nun mit der KI? Außer Spesen nichts gewesen?

Zum einen gab es keine solchen für den Planungsansatz, zum anderen lag dieser gar nicht so falsch. Im Großen und Ganzen entsprach die MI-Durchführung dem KI-Ansatz. Die zeitliche Abfolge musste aufgrund der Wetterprognose freilich anders gestaltet werden – ein straffer erster Teil und ein lockerer zweiter. Statt der Lesbos-Schiffsrunde durfte ein Leihwagen zum Einsatz kommen. Pergamon als Ersatz für Troja haben wir für gut befunden.

Und wann lässt du deinen ersten Törn mit KI planen ?


Im April 2023 eingewebt by Ante !