Wenn einer eine Reise tut, dann darf er was erzählen – die Nachlese von Anton Dalbenknacker.
Mit ausreichend warmen Sachen reisen wir an. Zwar ist es noch nicht September, aber wie wird es da oben an der Ostsee? Wer weiß schon so genau, was der Wettergott für uns vorgesehen hat? Immerhin sind die durchschnittlichen Tageshöchstwerte für August mit 22 Grad nicht üppig und die statistischen 14 Regentage wohl recht feucht. Für die Wassertemperaturen haben die Meteorologen langjährig gerade mal 17 Celsiusse anzubieten.
Wir sind vier Crews (siehe auch Ostsee-Blog vorab) aus dem Innviertel, genauer vom Yachtclub Braunau-Simbach. Also starten die Teilnehmer am 19. bzw. 20. August 2016 vorwiegend mit Privat-PKWs, aber auch mit der Bahn, zur Anreise nach Warnemünde, teilweise mit Zwischenstationen, z.B. in Berlin. Samstags am späteren Nachmittag sind wir alle da, oben in Warnemünde draußen auf der Hohen Düne, da übernehmen wir die vier Bavarias beim Stützpunkt Mola am Steg G vor der 5-Sterne-Yachthafenresidenz. Nobel geht es hier zu – so nobel, dass wir für das Duschen extra bezahlen dürfen und nur einen E-Key pro Crew für die Sanitäranlagen bekommen. Sei’s drum!
Nach der deutschgründlichen Schiffsübergabe (zumindest unser Hans hatte viel zu vermitteln) steuert meine Crew mit bester Empfehlung den Bier- und Branntwein-Kontor in Travemünde an. Dazu übersetzen wir von der Hohen Düne am Neuen Strom mit einer Fähre, unterwandern die Eisenbahnschienen auf der Mittelmole und queren den alten Strom auf der Fußgängerbrücke. Nun tauchen wir ins rege abendliche Treiben an der Warnow-Mündung ein. Wir haben Glück, ein Tisch im urigen Restaurant ist für uns frei und erstmals genießen wir die ausgezeichneten und preisgünstigen Fischspeisen an der Ostsee. Mit einer Spazierrunde hinaus zum alten Leuchtturm und zum Teepott beenden wir den Tag.
Die erste Nacht am Schiff ist angenehm ruhig. Der Bierkonsum vom Abend lässt mich um 4 Uhr erwachen. Draußen kühlt ein leichter Südoster und querab zum Steg leuchtet der recht volle Mond. Friedlich still liegt unsere „PASTELL“ zwischen den sehr weit gesetzten Dalben. Der Blick über die Marina und auch hinaus aufs Meer verspricht einen schönen neuen Tag.
Nach dem ersten Frühstück am Schiff lösen wir um 9 Uhr die Leinen unserer Bavaria 40 und lassen sie aus dem Marinakäfig frei. Der Motor schnurrt ruhig und nach dem Queren der Lateraltonnen für die Großschifffahrt setzen wir bald die Segel. Unser Tagesplan zeigt die Hansestadt Wismar an, es geht also südwestlicher in die Mecklenburger Bucht. Das Schiff läuft gut, wir kommen bei flacher Welle und schönem 10-Knoten-Wind aus 230° zwar zügig voran, allerdings nicht direkt in die passende Richtung. So setzen wir uns vorerst gut von der flachen Küste ab. Kurz vor Mittag gibt es Probleme: die Versorgungsbatterie meldet einen Schwächeanfall. Wir starten den Motor zur Ladung, das sichert uns zwar die Stromversorgung der Navigationsgeräte, aber der Akku erholt sich nicht mehr. Mittels Anruf beim Stützpunkt verspricht uns Ronny einen Tausch in Wismar für den nächsten Vormittag. Inzwischen fahren wir unter Motor und Stützsegel reichlich Höhe. Dabei schreckt uns ein scheinbares Flach, eine hellgrüne Färbung vor und später um uns. Des Rätsels Lösung folgt bald darauf: Was wir in Fahrt vorerst als kleine Würmer im Wasser interpretieren, das entwickelt sich zur ausgedehnten Algenpest auf der Ostsee, welche in mächtigen Streifen unseren Kurs wiederholt begleitet. Wir fürchten ein Verstopfen der Motorkühlung, was aber zum Glück bei uns nicht eintrifft (die Crew um Helmut Zeilinger auf der „BELLADONNA“ bekommt aber damit Probleme, wie wir später erfahren).
Was in den flachen Gewässern der Ostsee den gelernten Mittelmeerseglern besonders als anders auffällt, das sind die vielen lateralen und auch kardinalen Seezeichen. Bei der Ansteuerung von Wismar bekommen wir gleich sehr reichlich davon ab, zumal wir uns recht ordentlich an die Tonnenstriche halten. Es zieht sich mächtig und der Nachmittag schreitet kräftig voran.
In Wismar angekommen fährt vor uns gerade die Brandstätter-Crew auf der „MEIKE“ in den alten Hafen ein. Wir folgen ihr bis ganz hinten, drehen aber mangels Liegeplatz unseren Bug wieder nach außen und kurven in den Überseehafen und dort am Ende zum Wasserwanderrastplatz hinüber. Nach seitenwindigem Anlegemanöver in zwei Anläufen liegen wir dort ruhig an einem äußeren Stummelsteg und können unser Schiff mit Landstrom versorgen. Spinnenkräne bilden zwar die industrieromantische Background-Kulisse, aber die Altstadt liegt nur einen Steinwurf weit neben dem Hafenarm.
Der Abend ist für eine Wismar-Visite reserviert. Jetzt geht es los mit der Besichtigung der hanseatischen Backstein-Architektur. Der grandiose „Legostein des Nordens“ beherrscht außen wie innen als Baumaterial und zur Fassadengestaltung viele alte Objekte. Wismar wurde 2002 mit seinen rund 300 Einzeldenkmalen in die Unesco-Weltkulturerbeliste aufgenommen. Die Nikolaikirche beeindruckt mit seinem himmelragenden Gemäuer gleich zu Beginn. Am Marktplatz besuchen wir den Alten Schweden (da geht sich auch eine Runde Pils aus) und die Wasserkunst. Das Abendessen gibt’s in einer urigen Kneipe, diesmal ua. mit köstlicher Scholle. Beim Weggehen treffen wir im Dunklen vor dem Lokal auf ein paar Herumstreuner – es sind die Mannen der Commodore-Crew auf der Suche nach einem Wirt’n. Wir empfehlen ihnen „unseren“, speziell auch für Kümmel und Doppelkorn. Weiter wandern wir durch das Wassertor zum Alten Hafen – Ferdinands Schiff finden wir dort nicht vor (alle anderen sind im Westhafen untergekommen) – und dann zurück zu unserer PASTELL, schon müde, denn der Sonntag war lang.
Der Morgen beginnt mit einer warmen Dusche (wir sind ja am Wasserwanderrastplatz) und einem kräftigen Frühstück am Schiff. Während ich mich wegen des Tausches der Versorgungsbatterie mit Ronny von Mola abstimme und wir darauf warten, sind unsere Versorgungsdamen in der Stadt unterwegs und bringen auch gleich ein nettes Sortiment an Räucherfischen mit. Da freuen wir uns schon auf die nächste Mahlzeit unterwegs auf der Ostsee. Der Akku ist schnell getauscht. Jetzt aber geht die Post ab, es ist ja bereits dreiviertelelf. Wir wollen heute hinüber zur Trave-Mündung und von dort aus die Königin der Hanse, die Altstadt von Lübeck besuchen.
Die lange Nordwest-Ausfahrt zwischen Rot und Grün durch die Wismar-Bucht endet nach zwei Stunden. Die Flachs Lieps und Hanibal sind abgehakt, nun kann es nach Westen gehen. Bei 15 Knoten Wind aus 210 ist wieder etwas Kreuz angesagt. Navigator Gerold darf nun selbst seinen Kurs steuern und wir üben ein paar flotte Wenden. Schon ist auch ein Sparringpartner in Sicht. Ja siehe da, eine sattsam bekannte pastellgrüne große Fahne flattert am Achterstag – Caipirinha Racing Team, das kann nur die Schäfer-Crew auf der LUISE sein. Da gehen die Kerle tatsächlich knapp vor unserem Bug durch und später noch einmal (aber Kompliment an unseren Jung-Rudergänger, er kann den Commodore-Speed gut halten). Schließlich lassen wir unsere schwarz-rot-goldene Flagge näher zum Klützer Winkel hin ziehen, so entschwindet uns das Matchschiff wieder.
Der Himmel wird grauer und der Wind kräftiger. Sehr langsam rückt Travemünde näher. Das riesenhohe Hotel Maritim als markantes Ansteuerungsziel mit dem Leuchtfeuer ganz oben ist schon länger in Sicht. Unter Maschine geht es schneller. Nach dem grünen Molenfeuer beginnt die Suche nach einem Liegeplatz an Steuerbord. Knapp vor uns checkt Klaus‘ LUISE bereits eine Dalbenbox nach der anderen. Erst in der Böbs-Werft kann sie eine passende Nische mit grüner Freitafel finden. Wir suchen bei unangenehmen Seitenwind weiter und erhaschen zuletzt ganz hinten zwischen einem Schwenkkran und einem Blechcontainer ein zwar nicht romantisches, aber doch windgeschützt-kuscheliges Längsseitsplätzchen. Beim Besuch des Hafenmeisters gleich nebenan wird alles klar: wir dürfen bis 9 Uhr früh bleiben (danach würden wir weggehoben), es gibt prima Sanitäranlagen, bestellte Brötchen und Croissants werden uns morgens aufs Schiff gebracht, WLAN darf’s auch sein und die Bushaltestelle zur Lübeck-Fahrt ist ganz nahe – einfach super!
Die Fahrt nach Lübeck geht zügig vonstatten. Ganz nahe am Markt steigen wir aus, bewundern das Rathaus, schwenken erst hinüber zur Marienkirche (die leider schon verschlossen ist, nur das Bronzeteufelchen grinst wachend davor) und dann hinunter zur Travebrücke am Holstentor. Das mächtig imposante Wahrzeichen der 200.000-Einwohner-Stadt dient uns als Kulisse für ein Crewfoto. Vorbei an den alten Salzspeicherhäusern (den bedeutenden Zeugen der ruhmreichen Vergangenheit) tauchen wir in enge Gassen ein und werden dabei von ersten Regentropfen befeuchtet. Gerolds smartphoniger Stadtführer findet ein empfohlenes Restaurant (das auch am Montag offen hat) und wieder ist gerade noch ein Tisch für uns frei geworden. Fisch, Fleisch, Pfifferlinge, Ofenkartoffel schmecken in der gemütlichen Kneipe wiederum vorzüglich und die doppelkornigen Desserts dazu. Regenjacken bzw. Schirm sind mit dabei, so ist der himmelfeuchte Weg zur nächsten Bushaltestelle keine große Sache. Die Linie 40 bringt uns zurück zur Ausstiegshaltestelle Skandinavien-Kai nahe der Böbs-Werft in Travemünde.
Über Nacht hatte es sich ausgeregnet. Das frische Gebäck fürs Frühstück liegt unter der Sprayhood. Wir erfahren, dass Klaus mit seiner Crew erst heute Lübeck besuchen will. Ferdinand soll die Nacht in Neustadt verbracht haben und Helmut dürfte noch in Wismar geblieben sein. Punkt 9 Uhr steuert Werner die PASTELL vom Werftgelände hinaus auf den Fluss. Travemünde streicht an uns vorbei: backbords die Vorderreihe mit dem Kirchturm, später der alte Leuchtturm und danach der neue, der Wohnspargel (oder Stinkefinger) als Hotel Maritim. An Steuerbord, also auf der Priwall-Seite, liegt die PASSAT vertäut, der mächtige 4-Mast-P-Liner aus den Zeiten, wo noch Salpeter aus Chile ums Kap Hoorn nach Europa transportiert wurde. Nun hat sie ausgedient und darf ihre alten Tage hier verbringen.
Travemünde liegt bald hinter uns, das heutige Tagesziel dagegen recht nördlich in rund 35 Seemeilen Entfernung. Noch ist der Himmel eher grau und der Wind flau, also verrichten Maschine und Autopilot nach dem Tonnenstrich ihren Dienst. Zur Abwechslung gibt es fallweise etwas Verkehrsaufkommen der eher dickbäuchigen Art. Frachter, Fähren, ein Kriegsschiff, aber auch Touristen-Fischerboote oder Segler etc. verkürzen uns die Zeit der Anreise zur Insel Fehmarn. Schauend, lesend, schlafend lassen wir den Motor schnurren, zwischendurch gibt es eine mittägige Versorgung aus Lores Kombüse – dazu darf auch ein Bierchen nicht fehlen.
In der Ferne taucht im nördlichen Dunst der Handtaschen-Henkel der Fehmarn-Brücke auf. 1963 wurde die Straßenverbindung von Heiligenhafen-Großenbrode zur damals größten Insel der BRD eröffnet (Rügen stand noch unter DDR-Herrschaft). Der Fehmarnsund hat an dieser Stelle zwischen den Brückenpfeilern eine Breite von 240 Metern und die Lichte darunter beträgt etwa 22. Wir lassen die Durchfahrt im wahrsten Sinne des Wortes links liegen, da unser Zielhafen Burgstaaken ohnehin auf der südöstlichen Seite von Fehmarn liegt. Unsere Commodore-Crew will es allerdings genau wissen, so Klausens spätere Erzählung. Sie steuert den betonnten Fehmarnsund-Weg hinein – grün an Backbord, rot an Steuerbord – und schlüpft zum Test mit dem Mast unter der Brücke durch. Wir sind hier einen Tag voraus und haben die Ansteuerung in den Burger See vor uns. Die drei klobigen Touristen-Wohnburgen der Burgtiefe protzen schon lange vor uns. Bald wandern diese an unserer Steuerbordseite vorbei. Nur ein kurzer Blick auf die heute weitgehend leeren Strandkörbe, dann eröffnet sich schon der Tonnenstrich hinauf bis Burgstaaken mit seinen Getreidesilos und der Marina auf der linken Seite.
Burgstaaken hat zwar eine in die Jahre gekommene Marina, ist aber im Gegensatz zur Burgtiefe der untouristischere Ort. Hier befindet sich der Umschlaghafen für das auf Fehmarn großflächig angebaute Getreide. Zudem ist Burg, der Hauptort der Insel, nur wenige Kilometer entfernt. Wir finden einen dalbenfreien Platz in einer Schwimmsteg-Ecke nahe der Einfahrt. Zwar piepst unser Tiefenmesser in der flachen Marina, aber wir bewegen uns wohl im Sicherheitsbereich des Alarms. Nach etwas Pause verkleiden wir uns landfein und setzen uns zu Fuß Richtung Burg ab.
Nach längerer Seefahrt kann eine kleine Wanderung nicht schaden. Unweit des Hafens finden wir einen teilweise laubüberdachten Fuß- und Radweg. Das ist gut so, denn nun haben sich alle Wolken verzogen und die Sonne zeigt, was sie kann. In Burg angekommen ist uns dann schon gehörig warm. Die Kirchenbesichtigung kühlt ein wenig, aber dann ist ein schattiger Gastgarten mit kaltem Bier sehr angebracht – und Fischbrötchen gibt’s auch dazu. In Burg ist viel los, überall schwirren Besucher herum, viele Geschäfte bieten ihre Waren feil, Souvenirkram zu Hauf, aber es gibt auch einen ordentlichen Supermarkt, wo unsere Mädels einiges für die weitere Versorgung am Schiff einkaufen. Ich mach ein wenig Rast beim Rathaus, dabei bin ich mir nicht sicher, ob es nicht besser Radhaus heißen sollte (siehe unterer Rand des mittleren Bildes). Beim Zurücktragen der Einkaufstasche zum Schiff wird uns neuerlich warm, aber dann ist Zeit zum Relaxen, zumindest für 2/3 der Crew, denn unser Kombüsen-Team mit Mutter Lore und Tochter Elisabeth kochen ein leckeres Abendessen – nach viel Fisch und Fleisch nun einmal vegetarisch. Bleibt noch zu erwähnen, dass wir zuvor beim Heimweg in Burgstaaken am Hafen die Haifischbar gesichtet hatten. Also beschließen wir den Abend dort bei einer Runde Bier mit Doppelkorn dazu. Und weil die so gut schmeckte, dann eben noch eine.
Vlnr: Anton (Skipper), Elisabeth (Dokumentation), Elisabeth (Co-Smutje), Gerold (Navigator), Werner (Co-Sk. & Zahlmeister), Lore (Smutje) !
Burgstaaken verlassen wir am Mittwoch vormittags um 09:15 nach Containerdusche und Frühstück. Kurz nach 10 Uhr haben wir das Leuchtfeuer Staberhuk am Südostzipfel von Fehmarn dwars an Backbord und etwa bei Sonnenhöchststand queren wir schräg den Kiel-Ostsee-Weg, wo die schweren Brummer, vom Nord-Ostsee-Kanal oder vom Großen Belt kommend, nach Osten bzw. nach Westen ziehen. Unser Fixstern heizt kräftig ein, sodass UV-Schutz dringend empfohlen ist. Die leichte Brise treibt zwar die nun näher kommenden Windräder an, aber zum Segeln reicht es kaum. Nach den beiden Energieparks Rødsand und Nysted biegen wir nach Norden ab und suchen uns die flache Zufahrt zur Südostseite der schon dänischen Insel Lolland.
Unsere Alternative bei unruhiger See wäre es gewesen, nicht Nysted auf Lolland, sondern Gedser auf der Insel Falster von Süden durch den Tonnenstrich anzulaufen. Bei der vorherrschenden stabilen Wetterlage (der Deutsche Wetterdienst muss es ja wissen) sollte auch das Flachwasser nach Nysted hinein und morgen wieder heraus kein Problem sein (Navigator Gerold hatte die Lage genau so beabsichtigt). Schon passieren wir die Ansteuerungstonne. Sie erinnert uns farblich an das Setzen der Gastlandflagge, welche Werner gut verknüpft bald darauf unter der Steuerbordsaling aufzieht – rot mit weißem Kreuz. Nach der ersten Flachstelle halten wir Ausschau nach einem kardinalen Ost, welches sich einige Zeit nicht blicken lässt. Dann aber schlängeln wir uns zwischen rot und grün bei zumindest noch drei Meter Tiefe hindurch und haben bald das malerische Nysted zur Rechten.
Die Marina Nysted ist mit 1.8 Meter zu flach für unseren Tiefgang von 2.1, also bleiben wir gleich im eckigen Handelskai davor. Es ist 15 Uhr und der heiße Sommertag lädt zum Baden ein. Noch haben wir bisher die Ostseetemperaturen schwimmend nicht ausprobiert, aber jetzt! Ein paar Schritte vor der Einfahrt zum Hafen (nein, das heißt hier „Havn“) ragt ein kleiner Steg in die moorige Bucht. Schon sind wir im Wasser und schwimmen ein paar Runden oder Längen – sehr angenehm und viel wärmer als wir dachten. Hinterher suchen wir uns seitlich der Marina ein Lokal mit Schattenplätzchen davor – it’s Coffee-Time.
Die anschließende entspannte Wanderung durch den Ort bringt uns zum eigenwilligen Brunnen am Hauptplatz, zur spitztürmigen gotischen Kirche, wo am Hochaltar Jesus gerade seine Crewbesprechung abhält und dann durch Häuserreihen mit bunten Stockrosen davor und an vogelreichen Teichen vorbei zum großen Park mit seinen Alleen, der das Schloss Aalholm umgibt, welches eine der besonderen Sehenswürdigkeiten Lollands ist (bei einem Urlaub vor satten 23 Jahren hatten Elisabeth und ich es schon besucht). Leider ist der Zugang zu diesem nicht offen, aber von der Ferne konnten wir Aalholm schon bei der Ansteuerung von Nysted sehen.
Zurück beim Hafen staunen wir nicht schlecht ob der Ankunft von drei historischen Segelschiffen mit vielen Jugendlichen drauf, welche dem idyllischen Flair des dänischen Küstenortes noch einen besonderen Touch geben. In abendlichem Warmton vermitteln die Aufnahmen noch mehr die nostalgische Gemütlichkeit der guten alten Zeit. Ob die gleich einem Schweizer Uhrwerk konstruierte Winsch auch leichtgängig war bzw. ist?
Ja die Morgenfrühe, das ist unsere Zeit, wenn die Winde …. ! Um 9 Uhr legen wir in Nysted ab – der Tag bereits strahlend schön. Erst nehmen wir noch die Fahrrinne aus der sumpfigflachen und windarmen Bucht – wieder besengesäumt, diesmal ROT an Steuerbord und GRÜN an Backbard (sind wir in der Autowaschanlage?). Draußen kommt uns eine 12 bis 15 Knoten feine Brise entgegen, welche uns in einigen zügigen Schlägen an die Westküste der Insel Falster holt und der Crew ein frohes Lächeln in die Gesichter zaubert. Südlich abweichend lassen wir links den Fährhafen Gedser vorbeiwandern und rechts das Flach mit dem gesperrten Wildschutzgebiet. Nun steuern wir durch das Fahrwasser von Rødsand Rende nach Süden, dahin wo Warnemünde und dahinter Rostock liegt.
Ab Gedser macht der Wind Mittagspause und verschläft auch den Nachmittag. Das Futterhäuschen für Kormorane (die fressen Sonnenblumenkerne?) wandert nach hinten aus. Wir tun das scheinbar auch, als uns die Hybrid Ferry der Scandlines irgendwie stehen lässt, aber auch nur deshalb, weil unser Alternativantrieb in der Flaute schlummert. Die dänischen Farben verblassen im Dunst der Ostsee und auch die Gastlandflagge kommt wieder in ein Schab beim Naviplatz. Das östlich beginnende Verkehrstrennungsgebiet bleibt außen vor (Formulierung erlaubt, wir sind schon wieder in Deutschland) und auch den Tonnenstrich bis nach Warnemünde meiden wir bis zuletzt und bleiben westlich davon.
Kurz vor Lateral 17 erbitten wir auf Seefunkkanal 73 bei Warnemünde Control Einfahrtserlaubnis in die Warnow und biegen nach Erteilung in den Tonnenstrich ein. An Steuerbord lassen wir den alten Leuchtturm samt Teepott und an Backbord den blauen Tower mit dem rotweißen Sendemast liegen – wir wollen bis Rostock zur Altstadt. Die Autofähre über den neuen Strom kommt uns kurzzeitig in die Quere, der geben wir Vorrang. Die Warnow-Fahrt verläuft gut, allerdings mit einigem Verkehrsaufkommen. Nach 1,5 Stunden liegen wir am letzten Schwimmsteg vor der Altstadt, die Uhr zeigt 16:40 und Donnerstag. Wir erledigen die Anmeldung und blechen das letzte Mal bei einem Hafenmeister (im Schnitt immer so um die 20 Euro pro Nacht für die 40-Fuß-Yacht bei unserem Törn an der Ostsee). Danach rüsten wir uns, hungrig und durstig, für einen baldigen Lokalbesuch. Wir steuern „ZUR KOGGE“ hin, der urigsten Traditionskneipe Rostocks, und bekommen beste Versorgung zu christlichen Preisen an einem großen Rundtisch.
Rostock mit seinen etwas über 200.000 Einwohnern ist die größte Stadt von Mecklenburg-Vorpommern, also mehr als doppelt so groß wie die Landeshauptstadt Schwerin, und ist eine sehr wichtige Industrie- und Handelsstadt. Sie hat den größten Hafen der deutschen Ostseeküste. Ähnliche Bedeutung hatte sie auch schon zur Hanse-Zeit. Viele Zeugen dieser Vergangenheit finden sich hier, wenngleich im 2. Weltkrieg Unmengen von Bomben auch auf die Innenstadt fielen und dabei fast 50% der Häuser zerstört oder schwer beschädigt wurden. Das heutige Bild der Stadt ist modern bei einfühlsamer Wiederherstellung und Einbindung von alten Bausubstanzen. Die Stadt ist mehr als einen kurzen Besuch wert.
Unser Aufenthalt dauert vom frühen Donnerstag-Abend bis gut zur Mittagszeit des Freitags. Nach dem Abendessen machen wir schon eine kleine Altstadtrunde, aber ausführlicher nutzen wir den folgenden Vormittag. Ein paar Highlights des Hanse-Juwels zeigen die folgenden Bilder:
Universitätsplatz mit Blick zum Kröpeliner Tor bzw. nach Osten, mittig die Uni aus 1870 (gegründet 1419!).
Das Stände-Haus links und die Nikolaikirche im Inneren (Ausstellungsnutzung) und das mit Wohnungen versehene Dach.
Der Neptun am Neuen Markt, dahinter die Marienkirche mit einer einzigartigen astronomischen Uhr.
Kurz nach Mittag verlassen wir Rostock und schippern, teils unter Segel, die Unterwarnow wieder hinaus, auch den Neuen Strom, runden die Marina an der Hohen Düne und setzen uns gut von ihr ab. Da lassen wir unsere PASTELL in der Ostsee treiben und kühlen uns am heißen Tag noch einmal in ihren Fluten. Etwas Wind kommt auf, so stellen wir das Ruder auf hart Steuerbord fest, dann triftet das Schiff für die Schwimmer nicht zu schnell ab. Ein paar transparente Ohrenquallen pulsieren um uns, aber die sind ja harmlos. Ein Nachmittagskaffee geht sich noch aus, dann starten wir zur Tankstelle und noch vor 16 Uhr haben uns die Dalben ungeknackt beim Mola-Stützpunkt wieder – nach etwas K(r)ampf wegen der recht kurzen Festmacher. Wir betreiben die Rückgabe des Schiffes, packen die meisten Sachen ein und gehen noch duschen. Auch die anderen drei Crews trudeln nacheinander ein – es gibt was zu erzählen. Am Abend besuchen wir noch einmal Warnemünde, drüben über dem Neuen und Alten Strom und lassen uns im Restaurant CASABLANCA die letzten Ostseefische schmecken.
Nach einer letzten Schiffsnacht und dem Frühstück dazu verlassen wird die PASTELL am frühen Morgen. Der VW-Atlantis ist vollgepackt und die sechs Insassen platziert. Jetzt soll es mit Berlin-Zwischenstopp wieder rund 900 km nach Süden gehen. Vorerst leider nicht, denn der Parkplatzschranken geht nicht auf. Nach zwei Kontaktaufnahmen mit der Hotelresidenz Hohe Düne werden wir befreit. Nun nimmt Werner den Westkurs mit Fähre über den Neuen Strom und anschließend den Tunnel unter der Warnow für die Ostumfahrung von Rostock. Diesmal gibt es keinen Stau bei der Brückenbaustelle nahe der Müritz und Berlin zeigt sich auch verkehrsgünstig. Hier pausieren wir in Alt-Tegel, wo wir unseren Sohn Thomas mit Familie treffen und gemeinsam zu Mittag essen. Elisabeth und Gerold bleiben für ein paar Tage noch in der deutschen Hauptstadt. Zu viert setzen wir die Heimreise fort, treffen uns bei einer Pause noch zufällig mit Helmut und Edith von der BELLADONNA-Crew und um 21 Uhr liefern uns Werner und Lore gut daheim ab – gutes Ende eines sehr interessanten Törns und wir hatten ausgesprochenes Glück mit dem Wetter. Fallweise war es sogar zu heiß im kühlen Norden.
Zum Abschluss einen herzlichen Dank – zum einen an den YCBS für die Organisation und Abwicklung (auch an Yachtcharter Müller Linz als Agentur), zum anderen an meine Crew für die engagierte Übernahme der nötigen Aufgaben und die lustige Woche.
Mast- und Schotbruch
Anton Herzog, Skipper der PASTELL (Bavaria Cruiser 40)
Hier noch die grobe Route der PASTELL:
Ende August 2016 eingewebt by ANTE !